Bei Anbruch des Tages
weggeblieben war. Nicht zuletzt weil er sie immer erreichen konnte, wenn er für längere Zeit unterwegs war und mit ihr reden wollte. Er telefonierte mit ihr, wenn sie in der Firma, im Fitnessstudio, bei gemeinsamen Freunden oder auf Geschäftsreise war. Im letzten Fall war fast immer sein Vater dabei.
Dann jedoch fiel ihm ein, dass es durchaus auch Gelegenheiten gegeben hatte, an denen er sie vergeblich angerufen hatte.
Als er die Villa betrat, schliefen die Kinder, und sein Vater war bereits zu Bett gegangen. Die Mutter saà im Wohnzimmer vor dem Kamin und schmückte die Geschenkpäckchen mit Schleifen und Weihnachtskarten. Dabei sah sie sich einen Film im Fernsehen an, für den Guido das Drehbuch geschrieben hatte.
»Guido, mein Schatz, du siehst so müde und verfroren aus!«, sagte Celina.
»Das bin ich auch, trotzdem habe ich gesehen, wie eifrig du zu den Pralinen greifst. Du hast sie unter dem Sessel versteckt«, sagte ihr Sohn vorwurfsvoll.
»Jetzt sei nicht so streng! Es ist schlimm genug, dass ich in meinem Alter zu solch kindischen Schwindeleien greife!«
»Diese Schwindeleien, mammina, sind Gift für dich, und das weiÃt du auch.«
»So lass mir doch meine wenigen Laster!«, bat die Frau. Guido sagte nichts darauf und fragte stattdessen, ob sie schon etwas von Léonie gehört habe.
»Sie ist heute Morgen weggefahren und will erst nach dem Abendessen zurückkommen«, sagte Celina gelassen.
»WeiÃt du, wo ich sie erreichen kann?«
Seine Mutter dachte kurz nach und gab dann zu: »Ich habe nicht die geringste Ahnung. Falls sie mir gesagt hat, wohin sie fährt, habe ich es wieder vergessen. Musst du dringend mit ihr reden?«
»Sie ist meine Frau. Ich wüsste einfach gern, wo sie ist.«
»Beruhige dich! Deinem Vater und mir geht es gut, den Kindern hervorragend, und Léonie kommt gleich wieder. Hast du schon gegessen?«
»Nein, ich habe keinen Hunger.«
»Der Appetit kommt beim Essen. Ruf Nesto und lass dir etwas zubereiten!«
»Ist schon gut, Mama. Ich lege mich schlafen.«
Er fühlte sich verloren wie ein kleines Kind. In seinem Arbeitszimmer lieà er sich auf einen Sessel fallen. Seine Frau hatte einen Liebhaber. Sie nutzte seine Abwesenheit aus, um sich mit ihm zu treffen, den Tag mit ihm zu verbringen.
Seit Jahren erzählte er Geschichten von Liebe und Verrat. Daher wusste er, dass es viele Gründe gab, weshalb es zu Letzterem kommen konnte. Manchmal erfand er Missverständnisse, um sie dann aufzulösen und die Unschuld des vermeintlich Schuldigen zu beweisen. Wenn er schrieb, machte es ihm einen RiesenspaÃ, in Hass, Eifersucht, Rachegelüsten, Tränen und Versöhnungsszenen zu schwelgen. Um diese heftigen Gefühle glaubhaft schildern zu können, musste er sich nur seine unglückliche Liebesgeschichte mit Amaranta in Erinnerung rufen, die ihn immer noch quälte.
Und nun war er wieder von der Frau, die er liebte, verraten worden. Seine erste groÃe leidenschaftliche Liebe hatte sich in den Schoà der Kirche geflüchtet. Und seine zweite Liebe, seine Frau, in die Arme eines Unbekannten. Warum?
Wieso durfte er nicht glücklich sein?
Er quälte sich lange mit diesen Gedanken, bis er erschöpft einschlief.
Als er wieder erwachte, war es fast Mittag. Vor seinem Arbeitszimmer hörte er die Geräusche der Hausmädchen, die mit Putzen beschäftigt waren.
Er ging in sein Schlafzimmer, zog sich aus, duschte und zog sich wieder an. Dann kehrte er in sein Arbeitszimmer zurück und läutete nach Nesto.
»Ich hätte gern einen Kaffee und ein paar Kekse.«
Als Nesto mit den gewünschten Dingen zurückkehrte, brachte er ihm auch gleich die Tagespost mit.
»Irgendwelche Neuigkeiten?«, fragte Guido.
»Nein. Die Signora ist mit den Kindern im Garten. Sie sehen den Elektrikern zu, die gerade die Lichterketten montieren. Ihr Herr Vater lässt ausrichten, dass er nicht zum Mittagessen kommen wird. Ihre Frau Mutter ist beim Arzt und lässt sich den Blutdruck messen.«
»Ich werde gleich hinausgehen, um nach meiner Frau und den Kindern zu schauen«, verkündete Guido.
Wie würde Léonie reagieren, wenn sie ihn sah? Sie hatte Gioia auf dem Arm, hielt Gioacchino an der Hand und sah aufmerksam zu, wie Giuseppe den Arbeitern half, eine schwere Lichterkette zu halten. Als sie Guido entdeckte, kam sie ihm entgegen und hielt ihm die Wange
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