Bei Anruf - Angst
Ohr — mit der anderen Hand strich er Gaby über die Wange.
Das Freizeichen. Dann meldete
sich eine Frauenstimme. Sie klang wie der Schnappverschluss einer alten
Handtasche — eindeutig metallisch.
„Welkhalm.“
„Guten Abend, Frau Welkhalm.
Mein Name ist Peter Carsten. Aber nennen Sie mich Tim. Das ist bekannter.
Zunächst mal Entschuldigung wegen der späten Störung. Mein Anruf ist wegen
Gundula. Ich und meine Freunde haben nämlich Ihre Tochter hier kennengelernt.
Ich rufe an aus...“ Er nannte die Millionenstadt. Und fuhr fort: „Sicherlich
hat Ihnen Gundula von uns erzählt — von TKKG.“
„Nö“, antwortete die Frau. „Hat
sie leider nicht erwähnt. Aber wir haben auch heute nicht miteinander
telefoniert. Gundi will heute Nacht mit dem ICE nach Hause kommen. Es ist doch
alles in Ordnung?“
„Sicherlich. Kuno Ivoritzki
sagt, er hätte sie zum Bahnhof gebracht.“
„Das war abgemacht. Und weshalb
rufst du an?“
„Gundula hat ihr Portmonee
vergessen, als sie nachmittags bei uns im Jugendtreff war. Geld ist drin, ihr
Foto und Briefmarken. Jetzt wollen wir’s ihr zuschicken. Aber ich habe die
Adresse vergessen.“
„Du brauchst es nicht zu
schicken. Wirf’s doch bei meinem Bruder in den Briefkasten — bei Kuno.“
„Wir sind aber schon auf der
Post, haben den Geldbeutel eingetütet und frankiert. Wir brauchen nur noch die
Anschrift.“
„Na, gut. Das ist also
Meerbrisen-Allee 122.“ Sie nannte auch die Postleitzahl.
Tim bedankte sich. „Und grüßen
Sie Gundula von uns, wenn sie morgen früh eintrifft.“
„Mache ich. Danke für deine
Mühe.“
Die Frau legte auf. Tims
Freunde hatten mitgehört, den gesamten Dialog.
„Die klang echt glaubwürdig“,
meinte Klößchen. „Ist auch nicht reingefallen auf deinen Trick, dass wir das
Mädchen kennen.“
Tim nickte. „Es scheint alles
zu stimmen. Aber unser Misstrauen brodelt, nicht wahr? Die Rufnummer stimmt,
die Adresse sicherlich auch. Endgültig mehr könnten wir nur in Hamburg
ermitteln. Aber die Hansestadt ist weit und diese Nachforschung übersteigt im
Moment unsere Möglichkeiten.“
„Wir rufen morgen noch mal an“,
schlug Gaby vor, „und lassen uns Gundula geben. Ich höre bestimmt, ob es die
Vollwaise ist. Aber die wird’s nicht sein. Sondern entweder die echte Gundula
Welkhalm, die mit allem nichts zu schaffen hat — oder es ist abgekartetes Spiel
und uns wird eine gedungene Person vorgeführt, die mädchenhaft redet, aber
tatsächlich ein ausgebufftes Weib ist aus Ivoritzkis Umfeld.“
„So sehe ich das auch“, sagte
Tim.
Karl und Klößchen nickten.
Jetzt — dachte Tim — müssen wir
Gaby nach Hause bringen. Leider. Es ist ja schon spät — auch wenn morgen
Samstag ist.
Er und Klößchen hatten
abendliche bis nächtliche Freiheit zur Verfügung, waren nämlich für dieses
Wochenende aus dem Internat abgemeldet und — wieder mal — zu Gast bei Karls
Eltern, den Viersteins. Das bedeutete, sie waren an der längsten Leine, an der
man Kids laufen lassen kann, denn der Professor ist selten zu Hause und Karls
Mutter lässt zwar alle Fürsorge walten, drückt aber auch beide Augen zu.
Gerade wollte Tim Gabys Hand
nehmen, als sich seine Freundin reckte und über seine Schulter blickte.
„Pst! Da ist er.“
Die Jungs drehten sich um.
Kuno Ivoritzki schloss soeben
die Haustür ab — von außen. Er trug seine Lederjacke, die ziemlich lang und
gefüttert war. Zusätzlich hatte er sich einen dicken Wollschal um den Hals
geschlungen. Von der linken Schulter, die er etwas höher zog, hing ihm eine
bauchige Tasche: ein elegantes Lederbehältnis für den Single auf Kurzreise.
TKKG rührten sich nicht.
Ivoritzki marschierte im
Schnellschritt, kam zur Nikolai-Straße und ziemlich dicht an dem Torbogen
vorbei. Aber TKKG drückten sich in der Dunkelheit an die Mauer und blieben
unbemerkt. Sie ließen ihn vorbei.
„Der hat was vor“, sagte Karl.
„Vielleicht gehört er zu einer
Wach- und Schutz-Gesellschaft“, griente Klößchen, „und dreht seine nächtliche
Runde. Als Einbrecher-Schreck.“
„Eher glaube ich“, sagte Gaby, „dass
er jetzt die Vollwaise aufsucht. Vielleicht liegt sie irgendwo — gefesselt und
geknebelt. Vorhin musste ja alles hopplahopp gehen.“
„Wir verfolgen ihn“, sagte Tim.
„Und wenn er sich umdreht?“,
unkte Karl.
„Wir halten Abstand. Und wir
schnüffeln nicht als Gruppe auf seiner Spur, sondern einzeln. Im ungewissen Nacht-
und Laternenlicht checkt er dann nicht
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