Bei Anruf - Angst
drei Tage dauern, bis es soweit ist. Wie schnell
verhungern Kids?“
„So schnell auf keinen Fall.
Aber der Durst wird sie quälen. Eisig kalt ist es da drin. Finster. Feucht.
Voller Ratten und Dreck.“
„Als Abschreckung vor weiterem
Rumschnüffeln reicht das, Kuno. Es muss nicht sein, dass sie für immer
verschwinden. Denn das wirbelt Staub auf. Ist was anderes als bei diesem
Flüchtlingspack aus Hinterkaputschistan oder so. Wenn die für immer das Besteck
fallen lassen — wen kümmert’s?!“
„Hauptsache, sie haben vorher
bei uns prallig gelöhnt.“
„Klar doch.“
„Also, beweg deine Hufe,
Victor. Du weißt, wo ich parke. Aber lass dich nicht blicken. Denn die sind
schlau. Du folgst uns unauffällig.“
„Wie ein böser, unsichtbarer
Geist.“
Ivoritzki grinste und schaltete
sein Handy aus.
7. Gefangen im Bombenkeller
Für eine Weile wurde im Taxi
nicht mehr gesprochen. Jeder machte sich Gedanken. Was der studentische Fahrer
dachte, fiel nicht ins Gewicht. Aber in den vier Köpfen von TKKG drehten sich
die Überlegungen um Gundula, Ivoritzkis vermeintliche Nichte, die angeblich im
ICE nach Hamburg saß — was aber höchstwahrscheinlich gelogen war. Eher traf
Gabys Vermutung zu, nämlich dass Ivoritzki jetzt zu der Vollwaise fuhr, die er
irgendwo versteckt hielt. Vielleicht war sie eingeschlossen, gefangen.
Ziemlich weite Strecke,
überlegte Tim. Wie hat er das geschafft vorhin? Reichte die Zeit vom Ertappen
der Vollwaise bis zu unserem Auftauchen? Vielleicht gerade so. Ich hätte auf
die Uhr gucken sollen. In action rast die Zeit, beim Däumchen drehen vergeht
sie überhaupt nicht — scheinbar. Das eine wie das andere täuscht. Aber wenn
Kuno nicht bald aussteigt, dann ist die Vollwaise in dieser Gegend nicht.
Überhaupt — die Stadt liegt hinter uns. Wir sind im Schrott-Bezirk.
Müllkipperheide und dann das Ruinengebiet. Früher rauchten hier Schlote. Als
Bomben fielen, rauchten die Trümmer. Aber in den Bunkern, den Bombenkellern — haben
die Arbeiter überlebt. Wahrscheinlich war’s Rüstungsindustrie. Wenn’s die nicht
mehr gäbe — das ist der Knackpunkt — , müssten Angreifer und Verteidiger, Bestien
und Gerechte, Aufgehetzte und Opfer, Mehrheiten und Minderheiten, Vorgestrige
und Fortschrittliche — alle müssten nahkampf-mäßig mit Fäusten und Zähnen
aufeinander los. Ja, das Weiße im Auge des Feindes sehen — nicht
Raketengeballere, ja, dann wäre der Planet von himmlischem Frieden erfüllt,
denn die meisten würden kneifen.
„Er biegt ab“, sagte der
Fahrer. „Er hält auf der Straße. Ich glaube, dort geht’s zu den Ruinen. Ist
eine total schaurige Gegend.“
„Fahren Sie langsam vorbei“,
wies ihn Tim an. „Bei den Bäumen dort lassen Sie uns raus. Klößchen, zück deine
Kohle.“
„Soll ich auf euch warten?“,
fragte der Fahrer.
Tim schüttelte grinsend den
Kopf. „Das wird länger dauern. Vielleicht fahren wir mit Ivo... mit Onkelchen
zurück. Und sind dann zu sechst im Coupé. Falls das nicht zutrifft, rufen wir
Sie an über Handy.“
Der Student nickte, nahm eine
Geschäftskarte von der Ablage — mit verzeichneter Rufnummer — und gab sie dem
TKKG-Häuptling. Tim schob sie in die Tasche. Klößchen fragte nach dem Preis,
rundete auf und reichte das Geld rüber. Das Taxi hielt.
Tim hatte gesehen: An
Ivoritzkis Wagen waren die Lichter erloschen. Der Typ stieg aus. Ohne
Schultertasche, aber mit Schal. Er beachtete das Taxi nicht, sondern wandte
sich forschen Schritts zu den ehemaligen Fabrikmauern, die freilich nur noch
Reste waren. Damals zerstört oder Stein für Stein abgetragen von
Schwarzbauten-Herstellern und angefressen vom Zahn der Zeit: diese Gegend war
wirklich die Abortseite der Millionenstadt. Weil landschaftlich unattraktiv und
weil auf acht nahen Autobahntrassen der Fernverkehr tobte, kam auch niemand auf
die Idee, hier eine Trabantenstadt anzusiedeln oder Gewerbebetriebe. Jedenfalls
nicht mehr in diesem Jahrtausend.
Das Taxi hielt.
„Danke und tschüss!“ Tim sprang
ins Freie.
Seine Freunde folgten ebenso
schnell. Türen zu, aber leise.
Das Taxi fuhr weiter, hatte nur
Sekunden gestoppt. Und Ivoritzki konnte nichts bemerkt haben, denn die Bäume — dichtes
Nadelgehölz — schirmten ab.
Dunkelheit. Hier gab es keine
Laternen. Drüben sausten Scheinwerferpaare über die Autobahn-Spange II, sausten
in beide Richtungen. Keine Lichtquelle für hier. Immerhin — hinter den Wolken
war ein Mond, auch Sterne waren da, die Wolken
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