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Bei Einbruch der Nacht

Bei Einbruch der Nacht

Titel: Bei Einbruch der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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beim Motorrad und setzte schweigend ihren Helm auf.
    »Ich weiß nicht mehr, wo ich das Einmachglas hingestellt habe«, murmelte sie.
    »Ich glaube, das ist nicht schlimm«, erwiderte Lawrence.
    Camille nickte, schwang sich auf das Motorrad und legte dem Kanadier ihre Arme um den Bauch.

10
    Lawrence hielt vor dem Haus an und wartete regungslos, daß Camille abstieg.
    »Kommst du nicht mit?« fragte sie. »Wir machen uns einen Kaffee, oder?«
    Lawrence behielt die Hände am Lenker und schüttelte den Kopf.
    »Fährst du gleich wieder ins Gebirge? Willst du diesen widerlichen Wolf suchen?«
    Lawrence zögerte, nahm den Helm ab und schüttelte sein Haar.
    »Fahr zu Massart«, sagte er.
    »Massart? Um die Zeit?«
    »Es ist schon neun«, wandte Lawrence ein, der auf die Uhr sah.
    »Kapier ich nicht«, sagte Camille. »Was willst du von dem?«
    Lawrence verzog das Gesicht.
    »Ich versteh nicht, wieso der Wolf angegriffen hat«, sagte er.
    »Na ja, jedenfalls hat er's gemacht.«
    »Ein Wolf hat Angst vor dem Menschen«, fuhr Lawrence fort. »Er bietet ihm nicht die Stirn.«
    »Gut. Er hat ihm aber die Stirn geboten.«
    »Suzanne war dick, stattlich und ein Großmaul. Entschlossen und bewaffnet. Sie hätte ihn in die Enge treiben müssen.«
    »Na, dann hat sie das eben getan, Lawrence. Sie hat ihn in die Enge getrieben. Jeder weiß, daß ein in die Enge getriebener Wolf angreift.«
    »Genau das läßt mir keine Ruhe. Die Dicke kannte sich doch gut aus. Wäre nie das Risiko eingegangen, einen Wolf in die Enge zu treiben. Wär von hinten gekommen, hätte das Gewehr durch eine der gesprungenen Scheiben geschoben und hätte geschossen. Das hätte die Dicke gemacht. Aber in den Schafstall hineinzugehen und das Tier in die Enge zu treiben, God, das kann ich mir nicht vorstellen.«
    Camille runzelte die Stirn.
    »Sprich dich aus«, sagte sie.
    »Keine Lust. Bin mir nicht sicher.«
    »Sprich dich trotzdem aus.«
    »Bullshit. Suzanne hat Massart beschuldigt, und Suzanne ist tot. Ist vielleicht zu Massart gegangen und hat ihm ihre Geschichte von dem Werwolf aufgetischt. Hatte doch vor nichts Angst.«
    »Und dann, Lawrence? Wo Massart doch kein Werwolf ist? Was hätte er wohl getan? Er hätte darüber gelacht, oder?«
    »Nicht unbedingt gelacht.«
    »Massart hat sowieso schon einen schlechten Ruf, und die Kinder gehen ihm aus dem Weg. Was hat er mit den Enthüllungen von Suzanne zu schaffen? Schon jetzt wird erzählt, er sei unbehaart, impotent, schwul, plemplem und was weiß ich nicht alles. Was soll ihm da noch der Werwolf? Der steckt doch noch ganz anderes weg.«
    »God. Du verstehst nicht.«
    »Na gut, dann drück dich klarer aus. Jetzt ist nicht der Augenblick, deine Sätze zu verschlucken.«
    »Massart hat nichts mit dem Gerede zu schaffen. All right. Aber nimm an, die Dicke hätte recht gehabt? Daß Massart die Schafe umgebracht hat?« l
    »Dreh nicht durch, Lawrence. Du hast gesagt, daß du nicht daran glaubst.«
    »Nicht an den Werwolf. Nein.«
    »Du vergißt die Wunden, verdammt. Das waren doch wohl nicht Massarts Zähne, oder doch?«
    »Nein.«
    »Also. Siehst du.«
    »Aber Massart hat einen Hund. Einen sehr großen Hund.«
    Camille erschrak. Sie hatte den Hund auf dem Dorfplatz gesehen, ein riesiges geflecktes Tier, dessen massiger Kopf einem Mann bis zum Gürtel reichte.
    »Eine deutsche Dogge«, sagte Lawrence. »Der größte aller Hunde. Der einzige, der die Größe eines männlichen Wolfs erreichen oder sie noch übersteigen kann.«
    Camille stellte ihren Stiefel auf der Fußraste des Motorrads ab und seufzte.
    »Warum nicht einfach ein Wolf, Lawrence?« fragte sie sanft. »Ein ganz einfacher alter Wolf? Warum nicht Crassus der Kahle? Gestern hast du ihn noch gesucht.«
    »Weil die Dicke ihm in den Hintern geschossen hätte. Durchs Fenster. Ich geh zu Massart.«
    »Warum nicht zu Lemirail?«
    »Wer ist Lemirail?«
    »Der eine von den Gendarmen.«
    »God. Zu früh. Massart und ich werden nur ein bißchen reden.«
    Lawrence startete das Motorrad und verschwand hinter der nächsten Kurve des Hangs.
     
    Er kam erst zur Mittagessenszeit zurück. Camille war etwas matt, sie hatte, ohne Hunger zu haben, Brot und Tomaten auf den Tisch gestellt und aß, während sie geistesabwesend die Zeitung vom Vortag durchblätterte. Selbst der Katalog für handwerkliches Arbeitsgerät hätte heute nichts für sie tun können. Lawrence kam wortlos herein, legte seinen Helm und die Handschuhe auf einen Stuhl, warf einen Blick auf den Tisch,

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