Bei Einbruch der Nacht
schloß die Tür.
Auf Les Écarts herrschte jenes verlangsamte Leben, wie es Begräbnissen vorangeht. Buteil und Soliman machten sich mit schleppenden Bewegungen am Laster zu schaffen. Camille ging zu ihnen und stellte ihren Rucksack ab. Von nahem betrachtet, sah der Laster tatsächlich mehr nach einem Viehtransporter aus als nach irgend etwas anderem. Buteil war gerade dabei, Boden und Seitengitter mit Hilfe des Wasserschlauchs zu reinigen, und beförderte dicke schwarze Rinnsale voller Stroh und Schafsmist auf den Boden. Soliman faltete die einzelnen Teile der Wagenplane auseinander, die das Gestänge des Lasters bedecken sollte. Denn der Laster - Camille wurde erst jetzt bewußt, was das bedeutete würde ihnen auch zum Schlafen dienen.
»Keine Angst!« schrie Buteil ihr zu, um das pfeifende Geräusch des Wasserstrahls zu übertönen. »Der Laster ist wie die Schöne und das Biest, der verwandelt sich. In weniger als zwei Stunden mach ich ein Dreisternehotel draus!«
»Buteil hat den Viehtransporter oft genommen, um mit der Familie wegzufahren«, erklärte Soliman Camille. »Vertrau ihm, du kriegst allen Komfort und ein Schlafzimmer für dich allein.«
»Wenn du es sagst«, bemerkte Camille zögernd.
»Das einzige ist der Geruch«, räumte Soliman ein. »Man kriegt ihn nicht ganz weg. Der hat sich im Holz festgesetzt.«
»Ja.«
»Sogar im Metall.«
»Ja.«
Plötzlich versiegte der Wasserstrahl. Soliman sah auf die Uhr. Halb elf.
»Müssen uns umziehen«, sagte er mit zittriger Stimme. »Es ist gleich Zeit.«
Die beiden Männer begegneten Lawrence, der langsam den Feldweg heraufkam. Der dunkel gekleidete Kanadier bockte sein Motorrad auf und umarmte Camille.
»Ich habe dich zu Hause nicht mehr angetroffen«, sagte er. »Gibt's was Dringendes in Les Écarts?«
»Ich begleite Soliman und den Wacher nach der Beerdigung. Sie wollen Massart hinterherfahren und haben keinen Führerschein.«
»Was hat das damit zu tun?« fragte Lawrence, trat einen Schritt zurück und sah Camille an.
»Ich kann den Laster fahren.«
Lawrence schüttelte den Kopf.
»Machst du das extra?« fragte er mühsam beherrscht. »Einen Lastwagen fahren? Hättest du das nicht verhindern können?«
Camille zuckte mit den Achseln.
»Das ist einfach so gekommen«, sagte sie. »Bei unseren Deutschlandtourneen wollte der technische Leiter des Orchesters nicht Tag und Nacht fahren. Er hat's mir so nach und nach beigebracht.«
»God, LKW-Fahrer«, sagte Lawrence, der wegen Camille, nur wegen Camille, gezwungen war, gewaltige Einschnitte an seinen Idealen vorzunehmen.
»Das ist doch nichts Ehrenrühriges«, sagte Camille.
»Es ist aber auch nichts besonders Feines.«
»Auch nicht.«
»Was ist das für eine Chauffeurgeschichte mit Soliman und dem Wacher? Wo setzt du sie ab?«
»Das ist die Frage, Lawrence. Ich setze sie nicht ab, ich fahre sie ans Ende der Welt, bis sie Massart schnappen.«
»Willst du damit sagen, daß diese beiden Typen wirklich beschlossen haben, Massart zu suchen?« fragte Lawrence, der langsam unruhig wurde.
»Genau das.«
»Und du nimmst sie mit? Fährst fort?«
»Ja. Nicht lange«, erwiderte Camille zögernd.
Lawrence legte seine Hände auf ihre Schultern.
»Fährst fort?« wiederholte er.
Camille hob den Blick. Ein flüchtiger Schmerz durchzog das Gesicht des Kanadiers. Er schüttelte sein Haar.
»Aber nicht sofort«, sagte er und ließ seine Hände schwer auf ihren Schultern ruhen. »Bleib bei mir. Bleib noch heute nacht.«
»Sol will nach dem Begräbnis losfahren.«
»Eine Nacht.«
»Ich komme doch zurück. Ich ruf dich an.«
»Hat keinen Sinn«, murmelte Lawrence.
»Die Bullen rühren sich nicht, und der Mann wird weiter töten. Das hast du selbst gesagt.«
»God. Hab dir aber nicht gesagt, fortzugehen.«
»Sie können nicht Auto fahren.«
»Ich möchte, daß du hierbleibst«, wiederholte Lawrence hartnäckig.
Camille schüttelte sanft den Kopf.
»Sie warten auf mich«, sagte sie leise.
»Jesus Christ«, erwiderte Lawrence und entfernte sich. »Ein Kind, ein Greis und eine Frau auf der Spur eines Typen wie Massart. Was stellt ihr drei euch eigentlich vor?«
»Ich stelle mir überhaupt nichts vor, ich fahre.«
»Du stellst dir was vor. Massart einfangen?«
»Möglich.«
»Du machst Witze. Das ist kein Kinderspiel. Da braucht man Hinweise, Ermittlungen...«
»Wenn er weitere Schafe umbringt, werden wir seiner Spur folgen.«
»Verfolgen bedeutet nicht fangen.«
»Wir können uns
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