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Bei Einbruch der Nacht

Bei Einbruch der Nacht

Titel: Bei Einbruch der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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nach draußen und öffnete die Weißweinflasche.
    »Du leerst jetzt in einem Zug zwei Gläser«, erklärte er. »Wir reden danach.«
    »Willst du denn reden?«
    »Ja.«
    »Das kommt nicht oft vor.«
    »Nein. Das kommt nicht oft vor. Trink.«
    »Ist das ein Saint-Victor?«
    »Ja. Trink.«
    Der Schäfer stürzte zwei bauchige Rotweingläser hinunter, und der Wacher schenkte ihm ein drittes ein.
    »Das hier trinkst du jetzt langsam«, sagte er. »Hol uns Gläser, Sol.«
    Michelet warf Soliman einen mißbilligenden Blick nach. Er gehörte zu denen, die es noch nicht verdaut hatten, daß ein Schwarzer sich in die Provence und die Schafzucht einmischte. Wenn das der Nachwuchs sein sollte, na, dann könnte man sich auf was gefaßt machen. Aber er war klug genug, dem Wacher gegenüber die Klappe zu halten, weil im Umkreis von fünfzig Kilometern bekannt war, daß jeder, der Soliman zu kritisieren wagte, des Wachers Messer kennenlernen würde.
    Der Wacher war fertig mit Einschenken und stellte die Flasche auf den Tisch.
    »Hast du was gesehen?« fragte er.
    »Erst heute morgen. Als ich wieder auf die Alm hoch bin, habe ich sie auf der Erde liegen sehen. Dieser Dreckskerl hat sie nicht mal gefressen. Er hat ihnen die Kehle durchgebissen, das war alles. Als ob er Spaß daran hätte. Ein brutales Vieh, Wacher, ein sehr brutales Vieh.«
    »Ich weiß«, sagte der Wacher. »Er hat Suzanne erwischt. War er's? Würdest du das beschwören?«
    »Bei meinem Haupte. Wunden wie mein Arm«, sagte der Schäfer und zog seinen Ärmel hoch.
    »Um wieviel Uhr bist du gestern von der Alm runtergekommen?«
    »Um zehn.«
    »Hast du jemanden im Dorf gesehen? Ein Auto?«
    »Fremde, meinst du?«
    »Ja.«
    »Niemand, Wacher.«
    »Nichts auf der Straße?«
    »Nichts.«
    »Kennst du Massart?«
    »Den Krummen vom Mont Vence?«
    »Ja.«
    »Ich seh ihn manchmal hier und da bei der Messe. Er geht nicht bei euch zur Kirche. Und er kommt immer zur Johannisprozession.«
    »Bigott?«
    Michelet wandte den Blick ab.
    »Auf Les Écarts achtet ihr nichts, weder Eva noch Adam. Warum suchst du nach Massart?«
    »Er ist seit fünf Tagen verschwunden.«
    »Gibt es einen Zusammenhang?«
    Der Wacher nickte.
    »Was willst du damit sagen? Mit dem Tier?« fragte Michelet.
    »Wir wissen es eben nicht genau. Wir suchen.«
    Michelet trank einen Schluck Weißwein, pfiff durch die Zähne.
    »Hast du ihn hier gesehen?«
    »Nicht seit der Messe vorigen Sonntag.«
    »Erzähl von den Prozessionen. Ist er bigott?«
    Michelet verzog das Gesicht.
    »Sagen wir, übler als das. Abergläubisch halt. Übertrieben freundlich, Schleimereien halt. Du weißt schon.«
    »Ich weiß nicht viel. Aber ich weiß, was so geredet wird. Daß das Fleisch ihm in den Kopf gestiegen sein soll. Daß seine Arbeit im Schlachthof so an ihm genagt haben soll, daß er der Frömmigkeit verfallen sein soll.«
    »Ich kann dir sagen, daß der Typ besser dran getan hätte, Mönch zu werden. Es heißt, er hätte nie eine Frau angerührt.«
    Der Wacher schenkte eine weitere Runde ein.
    »Ich hab noch nie erlebt, daß er eine Messe versäumt hätte«, fuhr Michelet fort. »Jede Woche fünfzehn Francs für Kerzen.«
    »Sind das viele Kerzen?«
    »Fünf«, antwortete Michelet und hob die Finger seiner Hand wie bei den getöteten Schafen. »Er ordnet sie in Form eines M an, so«, fügte er hinzu und zeichnete ein M auf den Tisch. »M wie ›Massart‹, ›Mein Gott‹, ›Miserere‹, was weiß ich, ich hab ihn nicht danach gefragt. Ist mir schnurz. Schleimereien halt. Im Chorgang macht er komplizierte Schritte, vorwärts, zurück, wer weiß, was in seinem Hirn vorgeht, irgendwas nicht sehr Christliches, das kannst du mir glauben, und dann fummelt er am Weihwasserbecken rum. Schleimereien ohne Ende. Du weißt schon.«
    »Würdest du sagen, daß er verrückt ist?«
    »Verrückt nicht, aber schon eigenartig. Schon eigenartig. Aber harmlos. Hat nie einer Fliege was zuleide getan.«
    »Hat aber auch noch nie was Gutes getan, wie?«
    »Auch nicht«, räumte Michelet ein. »Jedenfalls redet er mit niemandem. Was hast du damit zu schaffen, daß er verschwunden ist?«
    »Wir scheißen drauf, ob er verschwunden ist.«
    »Ja und? Warum suchst du ihn dann?«
    »Er war's, der deine Schafe gefressen hat.«
    Michelet machte große Augen, und der Wacher legte ihm die Hand fest auf den Arm.
    »Behalt das für dich. Das bleibt unter Schäfern.«
    »Was willst du damit sagen? Ein Werwolf?« murmelte Michelet.
    Der Wacher nickte.
    »Ja. Ist

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