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Bei Einbruch der Nacht

Bei Einbruch der Nacht

Titel: Bei Einbruch der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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umgebracht worden, ihm wurde mit irgendwas die Kehle zerfetzt. Sie reden von einem streunenden Hund. Sie haben die Verbindung zum Wolf vom Mercantour noch nicht hergestellt.«
    »Das ändert eine ganze Menge«, murmelte der Wacher.
    »Um wieviel Uhr war das?« fragte Soliman und stand auf. »Es kann nicht vor drei gewesen sein. Die Schafe hier wurden gegen zwei Uhr morgens getötet, nach Aussage des Veterinärmediziners.«
    »Sie haben keine Uhrzeit genannt.«
    »Und der Rentner? Was hat der draußen gemacht?«
    »Wir fahren hin und fragen«, erwiderte Camille.

22
    Um nach Sautrey zu gelangen, mußte Camille den Viehtransporter zu einem weiteren Paß hinaufsteuern. Aber die Straße war weniger steil, breiter, nicht so kurvenreich, und die Kurven waren nicht so eng. Die letzten Überreste der Provence waren aus dem Gebirge verschwunden, und zehn Kilometer vor dem Col de la Croix-Haute tauchten sie in eine feuchte, wattige Nebelzone ein. Soliman und der Wacher betraten fremdes Land, und sie prüften es so neugierig wie mißtrauisch. Es herrschte eingeschränkte Sicht, der Laster kam nur langsam voran. Der Wacher warf den niedrigen, langen flachen Häusern an den dunklen Hängen hochmütige Blicke zu. Um vier überquerte Camille den Paß und erreichte eine halbe Stunde später Sautrey.
    »Lauter Holzstapel, lauter Holzstapel«, brummte der Wacher. »Was machen die mit dem ganzen Holz?«
    »Sie heizen fast das ganze Jahr«, antwortete Camille.
    Der Wacher schüttelte mitleidig und verständnislos den Kopf.
    Kurz vor acht Uhr abends schloß der Cafébesitzer von Sautrey die Tür seines Cafés ab. Ein dicker Hund mit kurzem Haar lief ihm durch die Beine. Jetzt wurde gegessen.
    »Sieh dir das an, Hund«, sagte der Cafébesitzer, »das ist doch nicht normal, daß so ein Mädchen einen Laster fährt. Das verheißt nichts Gutes. Findest du nicht, daß die beiden anderen Mützen, die dabei sind, fahren könnten? Was für ein Elend, so was zu sehen. Oder, Hund? Unglaublich, wie verrottet dieser Viehtransporter ist. Und dann die Frau, die da drin schläft - mit einem Schwarzen und einem Opa...«
    Der Cafébesitzer seufzte und hängte sein Tuch an das Tellerbuffet.
    »Na, Hund?« fuhr er fort. »Was meinst du, mit wem schläft sie? Du wirst doch wohl nicht behaupten wollen, daß sie mit keinem schläft, das würde ich dir nicht abnehmen. Vielleicht wirklich mit dem Schwarzen. Die ist ja nicht gerade zimperlich. Der Schwarze sieht sie an, als wär sie eine Göttin. Was wollen die drei eigentlich hier, was nerven die die Leute den lieben langen Tag mit ihren Fragen? Was geht die der alte Sernot an? Du weißt es nicht? Na, ich auch nicht.«
    Er machte das letzte Licht aus und ging hinaus, während er sich seine Jacke zuknöpfte. Die Temperatur war auf unter zehn Grad gefallen.
    »Na, Hund? Das ist doch nicht normal, daß Leute so viele Fragen über einen Toten stellen.«
    Wegen der Kälte und des Windes hatte Soliman den Tisch im Laster gedeckt, auf der Kiste, die zwischen die beiden Betten gezwängt worden war. Camille überließ Soliman die Küchenarbeit. Er kümmerte sich um das Mofa, die Verpflegung und das Wasser. Sie hielt ihren Teller hin.
    »Fleisch, Tomaten, Zwiebeln«, verkündete Soliman.
    Der Wacher entkorkte eine Flasche Weißwein.
    »Früher, zu Anbeginn der Welt«, begann Soliman, »haben die Menschen nicht gekocht.«
    »Ach, verdammt«, sagte der Wacher.
    »Und so war es für alle Tiere der Erde.«
    »Ja, ja«, unterbrach ihn der Wacher und schenkte Wein ein. »Adam und Eva haben miteinander geschlafen, und dann haben sie sich abrackern und sich ihr ganzes Leben was zu essen machen müssen.«
    »Keineswegs«, erwiderte Soliman. »Die Geschichte geht anders.«
    »Du erfindest deine Geschichten doch.«
    »Na und? Kennst du eine andere Methode?«
    Camille fröstelte und ging in den hinteren Teil des Lastwagens, um sich einen Pullover zu holen. Es regnete nicht, aber in diesem Nebel fror man wie in feuchter Kleidung.
    »Überall befand sich Nahrung in ihrer unmittelbaren Nähe«, fuhr Soliman fort. »Der Mensch nahm alles für sich allein, und die Krokodile beklagten sich über seine egoistische Gefräßigkeit. Um sich ein klares Bild zu verschaffen, nahm der Gott des stinkenden Sumpfs die Gestalt eines Krokodils an und ging hin, um die Situation selbst zu überprüfen. Nachdem er drei Tage Hunger gelitten hatte, rief der Gott des Sumpfes den Menschen zu sich und sagte: ›Von jetzt an sollst du teilen, Mensch.‹ -

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