Bei Einbruch der Nacht
dir noch nie was aufgefallen?«
»Eine Sache.«
»Was?«
»Er ist unbehaart.«
Die beiden Männern schwiegen, während Michelet die Information verarbeitete. Camille seufzte und leerte ihr Glas Weißwein.
»Und du bist hinter ihm her?«
»Ja.«
»Mit den beiden?«
»Ja.«
»Das Mädchen kenne ich nicht«, bemerkte Michelet mit mißbilligendem Gesichtsausdruck.
»Sie ist eine Fremde«, erklärte der Wacher. »Sie kommt aus dem Norden.«
Michelet grüßte Camille reserviert mit seiner Mütze.
»Sie fährt den Viehtransporter«, fügte der Wacher hinzu.
Nachdenklich betrachtete Michelet Camille, dann Soliman. Er war der Ansicht, daß der Wacher sich in recht eigenartiger Begleitung befand. Aber er konnte nichts sagen. Niemand sagte dem Wacher etwas, weder in bezug auf Soliman noch auf Suzanne, noch auf Frauen oder irgend etwas anderes. Wegen des Messers.
Michelet betrachtete ihn, wie er seinen Hut wieder aufsetzte und aufstand.
»Danke«, sagte der Wacher mit einem kurzen Lächeln.
»Sag den Schäfern Bescheid. Sag ihnen, daß der Wolf sich nach Osten Richtung Gap und Veynes bewegt und dann nach Norden Richtung Grenoble ziehen wird. Sie sollen nachts bei den Tieren bleiben. Und ihr Gewehr mitnehmen.«
»Wir verstehen uns.«
»Gut möglich.«
»Woher weißt du soviel über ihn?«
Der Wacher verzichtete auf eine Antwort und begab sich zur Bar. Soliman ging hinaus, um am Brunnen Wasser zu pumpen. Es war zwei Uhr. Camille ging zurück zum Laster, setzte sich auf ihren Sitz und machte das Radio an.
Eine Viertelstunde später hörte sie, wie Soliman den Schlauch der Wasserpumpe hinten am Laster aufrollte und der Wacher bei den Weißweinflaschen herumstöberte. Sie verließ die Fahrerkabine, kletterte in den Laster und setzte sich auf Solimans Bett.
»Wir verlassen das Nest hier«, sagte der Wacher und setzte sich Camille gegenüber. »Niemand hat niemanden gesehen. Kein Massart, kein Auto, kein Wolf.«
»Rein gar nichts«, bestätigte Soliman und setzte sich seinerseits neben Camille.
Die Hitze im Viehtransporter nahm zu. Die Planen waren über die Sichtfenster hochgezogen worden und ließen einen schwachen Luftstrom durch. Soliman beobachtete, wie Camilles Haare sich bewegten wie beim Atmen.
»Da wäre schon noch was«, sagte Soliman. »Das, was Michelet gesagt hat.«
»Michelet ist ein Rüpel«, bemerkte der Wacher hochmütig. »Er war unhöflich zu der jungen Frau.«
Er holte seinen Tabak hervor und drehte drei Zigaretten. Er leckte das Papier mehrmals an, drückte zu und hielt Camille eine hin. Mit einem Gedanken an Lawrence führte Camille sie an ihre Lippen.
»Das, was er über die Bigotterie von Massart gesagt hat«, fuhr Soliman fort. »Die Sache mit den Kerzen. Möglich, daß Massart weder auf Kirchen noch auf Kerzen verzichten kann, vor allem wenn er gemordet hat. Möglich, daß er zur Buße irgendwo welche aufgestellt hat.«
»Wie würdest du wissen, daß es seine Kerzen sind?«
»Michelet sagt, daß er immer fünf davon in Form eines M aufstellt.«
»Hast du die Absicht, alle Kirchen auf der Strecke abzuklappern?«
»Das wäre eine Möglichkeit, ihn ausfindig zu machen. Er dürfte nicht sehr weit von hier sein. Zehn, maximal fünfzehn Kilometer.«
Schweigend dachte Camille nach, die Arme auf die Knie gestützt, und zog an ihrer Zigarette.
»Ich glaube, er ist weit entfernt«, sagte sie. »Ich glaube, er ist derjenige, der den Rentner in Sautrey umgebracht hat.«
»Verdammt«, erwiderte Soliman. »Er ist nicht der einzige Verrückte im Land. Was soll er mit diesem Rentner zu tun haben?«
»Das, was er mit Suzanne zu tun hatte.«
»Suzanne hatte ihn durchschaut, und er hat ihr eine Falle gestellt. Warum soll ein Rentner aus Sautrey den Werwolf durchschaut haben?«
»Er hat ihn vielleicht überrascht.«
»Der Blutsauger tötet nur Weibchen«, brummte der Wacher. »Massart würde sich nicht für alte Typen interessieren. Nicht im geringsten, junge Frau.«
»Ja. Das sagt Lawrence auch.«
»Also ist das geklärt«, sagte Soliman. »Wir durchsuchen die Kirchen.«
»Ich fahre nach Sautrey«, erklärte Camille und drückte ihre Zigarette auf dem schwarzen Boden des Viehtransporters aus.
»He«, sagte Soliman. »Nicht auf den Boden.«
Camille nahm die Kippe vom Boden und warf sie durch das Sichtfenster.
»Wir fahren nicht nach Sautrey«, sagte Soliman.
»Wir fahren nach Sautrey, weil ich den Laster fahre. Ich habe die Zwei-Uhr-Nachrichten gehört. Sernot ist auf besondere Weise
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