Bei Einbruch der Nacht
verschränkt.
»Was wir brauchten«, sagte er schließlich, »ein besonderer Bulle. Einen ganz besonderen Bullen. Einen Bullen, der uns alle Informationen rausrückt, ohne uns zu nerven und uns daran zu hindern, dem Blutsauger hinterherzurennen.«
»Mach dir keine Hoffnungen«, bemerkte der Wacher.
»›Illusion‹«, sagte Soliman. »Falsche Vorstellung. Einbildung.«
»Ja.«
»Aber ohne Illusion ist alles perdu. Ohne Illusion sind wir zu nichts mehr gut.«
Der junge Mann öffnete die Tür des Lasters und warf seine Kippe hinaus. Camille nahm ihre und warf sie aus dem Sichtfenster.
»Ich kenne eine Illusion«, sagte sie.
Ihre Stimme war leise, fast unhörbar. Soliman wandte sich um und sah sie an. Sie saß nach vorn gebeugt, die Ellbogen auf den Knien, und drehte ihr Glas zwischen den Fingern.
»Nein«, sagte er. »Ich hab von einem Bullen gesprochen.«
»Ich auch.«
»Von einem besonderen Bullen. Davon, einen besonderen Bullen zu kennen.«
»Ich kenne einen besonderen Bullen.«
»Kein Witz?«
»Absolut nicht.«
Soliman kam zu der Kiste zurück, die ihnen als Tisch diente, räumte sie ab und öffnete den Deckel. Er kniete sich davor, durchsuchte den Inhalt und holte eine Schachtel mit Kerzen heraus.
»In diesem Laster sieht man ja überhaupt nichts mehr«, sagte er.
Er ließ etwas Wachs auf einen Teller laufen, drückte drei Kerzen hinein. Camille schwenkte noch immer den Rest Wein in ihrem Glas.
Das Kerzenlicht stand Camille gut. Ihr Profil zeichnete sich als Schatten auf der grauen Plane ab, am Kopf von Solimans Bett. Die hereinbrechende Nacht und die Aussicht, weitere Stunden ausgestreckt auf der anderen Seite der Plane neben Camille zu liegen, ließen Soliman ein wenig taumeln. Er setzte sich ihr gegenüber neben den Wacher.
»Kennst du ihn schon länger?«
Camille hob den Blick und sah ihn an.
»Zehn Jahre vielleicht.«
»Freund oder Feind?«
»Freund, vermute ich. Ich hab keine Ahnung. Ich hab ihn seit Jahren nicht gesehen.«
»Wie ›besonders‹?«
»Anders«, sagte sie.
»Nicht wirklich wie die andern Bullen?«
»Schlimmer. Nicht wirklich wie die andern Typen.«
»Aha«, bemerkte Soliman etwas verwirrt. »Wie ist er also als Bulle? Ohne Skrupel?«
»Viele Skrupel und wenig Prinzipien.«
»Willst du damit sagen, daß er verkommen ist?«
»Nein, nicht im geringsten verkommen.«
»Was dann?«
»Na eben besonders, sag ich dir.«
»Laß sie es nicht noch mal sagen«, bemerkte der Wacher.
»Und so was behalten sie bei der Polizei?«
»Er ist begabt.«
»Wie heißt er?«
»Jean-Baptiste Adamsberg.«
»Alt?«
»Was hat das für eine Bedeutung?« unterbrach ihn der Wacher.
Camille dachte nach, zählte flüchtig an den Fingern ab.
»Um die fünfundvierzig.«
»Wo ist dieser besondere Bulle?«
»Im Kommissariat des 5. Arrondissements in Paris.«
»Inspektor?«
»Kommissar.«
»Richtig Kommissar?«
»Richtig Kommissar.«
»Könnte dieser Typ, dieser Adamsberg, uns aus der Klemme helfen? Ist er einflußreich?«
»Ich hab dir gesagt, er ist begabt.«
»Könntest du ihn anrufen? Weißt du, wie man ihn erreichen kann?«
»Ich habe nicht die Absicht, ihn zu erreichen.«
Soliman starrte Camille überrascht an.
»Warum erzählst du mir dann von diesem Bullen?«
»Weil du mich fragst.«
»Und warum willst du ihn nicht erreichen?«
»Weil ich ihn nicht hören will.«
»Ach so? Warum nicht? Ist er ein Dreckskerl?«
»Nein.«
»Ein Arschloch?«
Camille zuckte erneut mit den Schultern. Sie fuhr mit dem Finger durch die Kerzenflamme und wieder zurück.
»Na und?« fragte Soliman. »Warum willst du ihn nicht hören?«
»Ich hab's doch gesagt. Weil er besonders ist.«
»Laß sie es nicht noch mal sagen«, bemerkte der Wacher. Soliman stand wütend auf.
»Es ist ihre Entscheidung«, wiederholte der Wacher und berührte Soliman mit der Spitze seines Stocks an der Schulter. »Wenn sie den Kerl nicht sehen will, will sie den Kerl nicht sehen, und Schluß.«
»Scheiße!« rief Soliman. »Wir scheißen drauf, ob er besonders ist oder nicht! Und was ist mit Suzannes Seele, Camille?« fragte er und wandte sich zu ihr. »Denkst du an Suzannes Seele? Die auf ewig bei den Krokodilen in diesem stinkenden toten Flußarm steckt? Glaubst du nicht, daß Suzanne in einer besonderen Situation ist?«
»Das mit dem toten Flußarm ist nicht sicher«, bemerkte der Wacher. »Ich werde dir das nicht noch hundertmal sagen.«
»Glaubst du nicht, daß Suzanne sich auf uns verläßt?« fuhr
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