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Bei Einbruch der Nacht

Bei Einbruch der Nacht

Titel: Bei Einbruch der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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weißt, daß ich erheblich schneller schieße als du«, fuhr er fort, ohne den Ast aus den Augen zu lassen. »Wie hast du mich gefunden?«
    »Danglard«, sagte Camille.
    Beim Klang dieser unerwarteten Stimme drehte ihr Adamsberg langsam das Gesicht zu. Camille erinnerte sich sehr gut an diese Langsamkeit, die von Anmut und ein wenig Nonchalance geprägt war. Verblüfft sah er sie an. Behutsam zog er die Pistole zurück und legte sie fast verlegen neben sich ins Gras.
    »Entschuldige«, sagte er. »Ich hatte jemand anderen erwartet.«
    Camille nickte, ihr war unbehaglich.
    »Vergiß die Waffe«, fuhr er fort. »Ein Mädchen, das sich in den Kopf gesetzt hat, mich umzubringen.«
    »Ach so«, sagte Camille höflich.
    »Setz dich«, sagte Adamsberg und zeigte auf das Gras. Camille zögerte.
    »So setz dich doch«, drängte er. »Du bist bis hierher gekommen, da kannst du dich auch setzen.«
    Er lächelte.
    »Ein Mädchen, dessen Freund ich getötet habe. Meine Pistole hat ihn im Fallen getroffen. Sie will mir hier eine Kugel reinschießen.«
    Er zeigte mit einem Finger auf seinen Bauch.
    »Das ist der Grund, weshalb dieses Mädchen mir unaufhörlich zusetzt. Im Gegensatz zu dir, Camille, die mich flieht, die mich meidet, die entwischt, die mir aus den Fingern gleitet.«
    Camille hatte sich schließlich vier Meter von ihm entfernt im Schneidersitz auf den Boden gesetzt und überließ ihm die Regie. Sie wartete auf seine Fragen. Adamsberg wußte ja, daß sie nicht aus Sehnsucht zu ihm gekommen war, sondern aus Notwendigkeit.
    Er beobachtete sie einen kurzen Augenblick. Die graue Jacke, die ihr zu lang war und deren Ärmel ihr über die Hände fielen, die hellen Jeans und die schwarzen Stiefel ließen keinerlei Zweifel. Camille war tatsächlich das Mädchen aus dem Fernsehen, das Mädchen vom Dorfplatz in Saint-Victor-du-Mont, das sich an die alte Platane gelehnt hatte. Er wandte den Blick ab.
    »Die mir aus den Fingern gleitet«, wiederholte er und tauchte erneut seinen Ast ins Wasser. »Es muß ganz schön was passieren, damit du dich entscheidest, zu mir zu kommen. Eine Art höheres Interesse.«
    Camille antwortete nicht.
    »Was ist geschehen?« fragte er behutsam.
    Camille fuhr mit den Händen durch das trockene Gras. Sie fühlte sich gehemmt, verlegen und war versucht, zu fliehen.
    »Ich brauche Hilfe.«
    Adamsberg hob den Ast aus dem Wasser, änderte seine Position und setzte sich ihr mit verschränkten Beinen gegenüber. Dann legte er den Ast mit sorgfältigen und exakten Bewegungen zwischen ihnen vor seine Knie. Er lag nicht gerade, und Adamsberg korrigierte seine Lage mit einer Hand. Adamsberg hatte sehr schöne, kräftige und für seine Statur große Hände.
    »Will dir jemand Böses?« fragte er.
    »Nein.«
    Die Aussicht, diese ganze lange Geschichte mit den Schafen, dem unbehaarten Mann, Soliman, dem stinkenden toten Flußarm, dem Viehtransporter, der Verfolgung und den Mißerfolgen ausbreiten zu müssen verdroß sie im voraus. Sie suchte nach einem Anfang, der nicht völlig absurd klang.
    »Bleibt also die Sache mit den Schafen«, sagte Adamsberg. »Die Bestie vom Mercantour.«
    Camille hob verblüfft die Augen.
    »Irgend etwas hat eine schlechte Wendung genommen«, fuhr er fort. »Etwas, was dir nicht gefallen hat. Du hast dich darauf eingelassen, ohne jemandem Bescheid zu geben. Die örtliche Gendarmerie weiß von nichts. Du arbeitest als Freischärlerin, und jetzt sitzt du fest. Du suchst einen Bullen, der dich da rausholt, einen Bullen, der dich nicht zum Teufel jagt. Um des lieben Friedens willen und weil du wirklich keinen anderen kennst, suchst du mich, unentschlossen. Und findest mich. Und plötzlich weißt du nicht mehr, wie du da hineingeraten bist. Dir sind diese Schafe völlig egal. Im Grunde würdest du am liebsten zurückfahren. Gehen und fliehen.«
    Camille lächelte kurz. Adamsberg hatte schon immer Dinge gewußt, von denen andere keine Ahnung hatten. Umgekehrt gab es eine Unmenge Dinge, über die alle anderen Bescheid wußten, die ihm aber vollständig unbekannt waren.
    »Woher weißt du das?«
    »An dir hängt ein leichter Berggeruch, ein Geruch nach Wolle.«
    Camille sah auf ihre Jacke hinunter und rieb sich mechanisch die Ärmel.
    »Ja«, erwiderte sie. »Das bleibt in den Kleidern.« Sie hob den Blick.
    »Woher weißt du das?« wiederholte sie.
    »Ich habe dich in den Nachrichten gesehen, du bist auf dem Platz dieses Dorfes da gefilmt worden.«
    »Du kennst also diese

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