Bei Einbruch der Nacht
Rohrleitungen.«
»Und deine Musik?«
»Ich komponiere für einen Fernsehmehrteiler.«
»Drama? Abenteuer?«
»Liebesgeschichte. Ziemliches Durcheinander in einer Wühlmausfamilie.«
»Ach so, gut.«
Adamsberg schwieg wieder eine Zeitlang.
»Machst du das alles in diesem Dorf da, in Saint-Victor?«
»Ja.«
»Und dieser Lawrence, von dem du erzählt hast? Der Aufseher vom Mercantour, der die ersten Wunden untersucht hat?«
Adamsberg sprach den Namen »Laurence« aus, er hatte noch nie einen englischen Klang erzeugen können.
»Er ist kein Aufseher«, erwiderte Camille in der Defensive. »Er hat einen Reportage- und Forschungsauftrag.«
»Ja. Nun, dieser Mann, dieser Kanadier.«
»Na was?«
»Na, erzähl mir von ihm.«
»Er ist Kanadier. Er hat einen Reportage- und Forschungsauftrag.«
»Ja, das hast du schon gesagt. Erzähl mir von ihm.«
»Warum soll ich von ihm erzählen?«
»Ich muß den Kontext richtig verstehen.«
»Er ist Kanadier. Viel mehr habe ich über ihn nicht zu erzählen.«
»Ist er nicht so ein richtiger Mann fürs Abenteuer? Ein schöner Mann, ein gut gebauter Mann mit langen blonden Haaren?«
»Ja«, sagte Camille mißtrauisch. »Das weißt du auch? Woher?«
»Alle Kanadier sind so. Oder?«
»Vielleicht.«
»Also erzähl mir von ihm.«
Camille sah Adamsberg an, der sie ruhig und mit einem leichten Lächeln beobachtete.
»Du willst den Kontext richtig verstehen, nicht wahr?« fragte sie.
»Richtig.«
»Willst du beispielsweise wissen, ob ich mit ihm schlafe?«
»Ja. Beispielsweise will ich wissen, ob du mit ihm schläfst.«
»Geht dich das was an?«
»Nein. Die Wölfe gehen mich auch nichts an. Auch die Mörder nicht. Auch nicht die Bullen. Und auch sonst nichts und niemand. Dieser Weidenast vielleicht«, sagte er und strich über den Holzstock, der zwischen ihnen lag. »Und ich selbst, von Zeit zu Zeit.«
»Gut«, erwiderte Camille seufzend. »Ich lebe mit ihm zusammen.«
»Da versteht man doch gleich mehr«, erwiderte Adamsberg.
Er erhob sich, nahm den Ast auf und machte ein paar Schritte auf der Lichtung.
»Wo hast du geparkt?« fragte er.
»Am Campingplatz Brèvalte, gleich am Ortseingang von Avignon.«
»Fühlst du dich in der Lage, heute abend bis Sautrey zu fahren?«
Camille nickte.
Adamsberg nahm sein langsames Hin- und Hergehen wieder auf. Vergangene Nacht waren bei dem Mörder von der Rue Gay-Lussac um fünf Uhr morgens die Deiche gebrochen und hatten eine Flut von Geständnissen freigesetzt. Er mußte noch den Bericht diktieren, Danglard anrufen, die Kripo anrufen. Ins Hotel gehen, die Staatsanwaltschaft von Grenoble anrufen, Villard-de-Lans anrufen. Er kannte den Gendarmeriehauptmann von Villard-de-Lans. Adamsberg blieb stehen und suchte nach dessen Namen. Montvailland, Maurice Montvailland. Ein schrecklich logischer Kerl.
Er zählte an seinen Fingern ab, ging zum Fluß, um seine Pistole aufzuheben, steckte sie wieder in das Holster und zog seine Schuhe an.
»Gegen halb neun heute abend«, sagte er. »Wartet ihr auf mich?«
Camille nickte und stand ebenfalls auf.
»Fährst du mit uns?« fragte sie. »Bis Sautrey?«
»Bis Sautrey oder weiter. Ich muß wieder nach Paris, in Avignon bin ich fertig. Nichts hindert mich daran, über Sautrey zu fahren, nicht wahr? Wie ist es dort?«
»Neblig.«
»Gut. Damit kommen wir schon zurecht.«
»Warum kommst du?« fragte Camille.
»Soll ich die Wahrheit sagen?«
»Wenn möglich.«
»Weil ich im Augenblick lieber versteckt bleibe wegen diesem Mädchen, das mir auf den Fersen ist. Ich warte auf eine Information.«
Camille nickte.
»Weil dieser Wolf mich interessiert«, fuhr er fort.
Adamsberg machte eine Pause.
»Und weil du mich darum gebeten hast.«
26
Ab acht Uhr hatten sich Soliman und der Wacher hinten am Laster postiert, um die Ankunft des begabten Bullen zu erwarten. Am Eingang des Campingplatzes Brèvalte wären sie beinahe abgewiesen worden, so sehr unterschied sich der Viehtransporter von den Zelten und den weißen Wohnwagen. Sie hatten sich einen Platz etwas abseits gesucht, damit niemand sich über den Geruch beschwerte.
Soliman hatte den Nachmittag damit verbracht, zu duschen, sich zu rasieren und mit dem Mofa durch Avignon zu fahren, das Handy aufzuladen und alle möglichen wesentlichen und unwesentlichen Waren mitzubringen. Der Wacher dagegen mußte sich nicht ständig bewegen und aktiv sein. Zehn Menschen sehen hieß hunderttausend sehen. Auf seinem Posten vor dem Laster zu bleiben,
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