Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt - Roman
verkündete, dass sie jetzt ins Bett gehe, um morgen früh fit für die Yogastunde zu sein. Doris hoffte, dass Katja noch bleiben würde, damit sie |75| über das eben Gehörte reden könnten, aber die wollte auch ins Bett. Also verließen sie gemeinsam die Bar.
Ein paar Minuten später saß Doris auf dem Bettrand in ihrem Zimmer und konnte niemanden mehr fragen, was mit Ankes ehemaligem Lebensgefährten passiert war und wie die damit umging. Sie stand auf, öffnete die Minibar, besah sich die Auswahl, griff zu einer Wasserflasche und warf die Tür wieder zu. Im Vergleich zu Anke und Katja hatte sie fast das Doppelte getrunken. Es war ihr selbst aufgefallen, wobei es ja wirklich ihre Sache war. Aber irgendwie war es ihr auch unangenehm. Sie konnte ja nichts dafür, dass die beiden anderen so langsam tranken. Und sie waren schließlich nicht hierhergekommen, um bei Apfelschorle und Cola über vergangene Zeiten zu reden. Das war alles nicht wichtig. Was aber wichtig war: Doris hatte dieses Gefühl von früher wiedergefunden. Es war fast so wie damals bei Ela in der Pommesbude. Dieses Gemisch aus Albernheiten und ernsten Themen, diese Gespräche, die sie sonst mit niemandem führen konnte. Nur mit Anke und Katja. Und dann musste diese Monika kommen und eine Bombe platzen lassen.
Doris versuchte sich daran zu erinnern, was sie noch über Kai wusste. Anke war vier Jahre mit ihm zusammen gewesen, hatte aber nur wenig über ihn geredet. Na ja, sie hatte ohnehin nur wenig mit Doris geredet. Sie telefonierten damals vielleicht drei- oder viermal im Jahr miteinander und sahen sich so gut wie nie. Und das, obwohl Lüneburg wirklich nicht weit von Hamburg entfernt liegt. Aber Anke hatte ja nie Zeit. Doris hatte Kai also kaum gekannt.
Ein einziges Mal hatten sie sich zufällig getroffen, an einem Samstag in der Hamburger Innenstadt. Doris und |76| Torsten waren zu einem Einkaufsbummel in die Stadt gefahren und standen plötzlich und unvermittelt vor Anke und ihrem Begleiter. Doris hatte die beiden spontan zu einem Mittagessen überredet. Es war eine blöde Idee gewesen, die Männer hatten sich überhaupt nichts zu sagen und Anke war verschlossen geblieben wie eine Miesmuschel. Doris hatte sich wirklich Mühe gegeben, inklusive einer Essenseinladung zu ihnen nach Hause. Aber weder Anke noch der genauso schweigsame Kai hatten sich zu der Einladung auch nur geäußert.
Anschließend hatte Doris frustriert am Tisch gesessen und Torstens Versuche, sie aufzuheitern, scheiterten schon im Ansatz. Sie hatte es Anke schlicht übel genommen, dass die sich so viel weniger über das Treffen gefreut hatte als sie selbst.
»Anke ist eben nicht so sentimental wie du«, hatte Torsten gesagt. »Für sie sind die alten Zeiten vorbei und dieser Kai wirkt, mit Verlaub, wie ein arrogantes Arschloch.«
Doris hatte ihm insgeheim zugestimmt, die alte Freundin aber trotzdem verteidigt. Das alles war mindestens schon wieder fünf oder sechs Jahre her.
Jetzt war dieser Kai also tot. Vielleicht war das die Erklärung für Ankes Zynismus und ihre bittere Laune. Hatte jene Monika nicht gesagt, dass es damals grauenhaft gewesen sei? Das alles konnte doch noch gar nicht so lange her sein. Wie war das vorhin gewesen? Auf die Frage, wann Anke das letzte Mal Sex gehabt hatte?
»Vor drei Jahren. Mit Kai. Und anschließend habe ich ihn rausgeschmissen.«
Das hatte Anke wortwörtlich gesagt.
Dabei war der Abend vorher so schön gewesen. Sie hatte gar nicht geahnt, wie sehr ihr Ankes Ton, Katjas direkte Art |77| und beider Witz gefehlt hatten. Zeitweise hatte sie sich wie in den alten Zeiten gefühlt, diesen Zeiten, in denen das Leben noch so endlos lang und bunt erschienen war. Und sie das Wort Hitzewelle nur von ihrer Großmutter kannte.
Sie knöpfte ihre Bluse auf und blies sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Es war schon wieder so heiß. Vielleicht sollte sie doch mal über Hormone nachdenken. Oder sich wenigstens darüber freuen, dass sie nur noch selten fror. Bei Katja klang alles immer so einfach. Die sah aber auch unfassbar gut aus. Anscheinend hatte sie die perfekten Gene.
Doris gab ein Vermögen für Augencremes und Kaviarmasken aus und hatte trotzdem auf jedem Foto so viele Krähenfüße, dass sie erschrak. Das Leben war ungerecht. Wobei Anke auch nicht mehr so glatt und jugendlich wirkte. Und dann noch diese grauen Haare. Katja war die Einzige, die nicht »Hier« geschrien hatte, als der liebe Gott ihre Gesichter dem Alter angepasst
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