Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt - Roman
alten Geschichten, die sie selbst betreffen, genauso ruhig reagieren würde. Wahrscheinlich nicht, aber vielleicht sollte es nicht immer um die Wahrheit gehen. Manche Erinnerungen sollte man einfach ruhen lassen. Aber das müsste sie Doris ja nicht sagen.
Nach dem Essen hatte Anke beschlossen, auf einen weiteren Saunabesuch zugunsten ihrer neuen Frisur zu verzichten. Sie wollte sich mit einem Buch in den Ruheraum verziehen. »Zumindest so lange, wie ihr noch schwimmt oder schwitzt. Und dann würde ich vor dem Essen noch gern einen kleinen Strandspaziergang machen.«
Doris hatte sofort zugestimmt, Anke in den Ruheraum begleitet und sich dann auf die Suche nach Katja gemacht. Sie fand sie im Tepidarium, wo sie mit geschlossenen Augen auf einer der gekachelten Bänke lag. Außer ihr war niemand im Raum.
»Tut mir leid.« Doris flüsterte eine Entschuldigung, bevor |173| sie sich hinlegte. Katja öffnete nur ein Auge und schloss es sofort wieder.
»Geschenkt«, antwortete sie leise. »Aber denk nächstes Mal darüber nach, auf wessen Seite du dich schlägst. Früher war das doch klar: Meine Freunde sind deine Freunde, meine Feinde musst du fertigmachen. Also, bitte.«
»Ja, schon …« Doris verstummte, als die Tür geöffnet wurde. Schon wieder dieses Paar, der Wellnessbereich war doch nicht groß genug.
»Hallo.« Die Frau grüßte lächelnd und legte sich hin. »Georg? Was ist?«
»Ach, ich glaube, ich gehe doch noch mal in die richtige Sauna. Wir treffen uns im Ruheraum.« So schnell wie er gekommen war, verschwand er auch wieder. Doris hob kurz den Kopf, Katja hielt ihre Augen immer noch geschlossen. Die Begleiterin von Georg musterte sie auffällig.
Doris legte sich wieder zurück, schob ihre Arme unter den Kopf und sah an die Decke. Ihr Leben lang war sie bestrebt, sich so zu benehmen, dass alle um sie herum zufrieden waren. Wie lange wollte sie das eigentlich noch machen? Dieses Wochenende war ja schon mal ein Anfang, aber sie erlebte selbst hier wieder Rückfälle. Es musste etwas passieren. Unbedingt.
»Jetzt versuche ich es doch noch mal. Katja Severin.« Die Stimme der Frau unterbrach die angenehme Ruhe. Dementsprechend genervt kam Katjas Antwort: »Ja? Und womit?«
»Du erkennst mich nicht, oder?«
Sowohl Doris als auch Katja hoben jetzt den Kopf. Ohne den Blick von der Frau zu nehmen, setzte Katja sich langsam auf. Plötzlich legte sie die Hand an die Stirn und fing an zu lachen.
|174| »Christine«, sagte sie und erhob sich. »Ich bin auch schon senil. Aber ich habe dich überhaupt nicht richtig angeguckt. Außerdem war es in der Sauna dunkel.«
Katja umarmte sie zur Begrüßung und ließ sich auf die Bank neben ihr sinken. »Mit dir habe ich hier nun gar nicht gerechnet. Was machst du denn an der Ostsee?«
»Wir mussten mal raus. Und meine Schwester ist irgendwann hier gewesen und war ganz begeistert. Und du?«
Katja zeigte auf Doris. »Wir machen ein Frauenwochenende, weil meine Freundin Doris Goldstein-Wagner morgen fünfzig wird und das nicht alleine ertragen wollte. Doris, das ist Christine Schmidt. Sie arbeitet als Journalistin und hat mal einen Bericht über mich gemacht. Danach haben wir uns dann auf Sylt getroffen. Sie kommt von der Insel, ihr Vater ist dort Fremdenführer, er hat mir Keitum gezeigt und anschließend mit mir Brüderschaft getrunken. Mein Freund Heinz.«
Christine nickte. »Er trinkt mit jeder schönen Frau, die ihm zuhört Brüderschaft.« Dann wandte sie sich an Doris. »Ich kann Sie übrigens gut verstehen. Ich werde nächstes Jahr fünfzig und überlege auch schon, wie man das so schonend wie möglich hinter sich bringt. Ihr seid zu dritt hier, oder? Eure Freundin haben wir doch auch schon gesehen.«
Doris musste über dieses ›wir‹ schmunzeln. Natürlich war es Christine aufgefallen, dass ihr Liebster Anke nahezu angebaggert hat. Dafür wirkte sie jetzt aber sehr souverän. »Ja. Anke hat sich in den Ruheraum gelegt, sie wollte lesen, statt schwitzen. Außerdem war sie gerade beim Friseur und möchte so schön bleiben, wie sie ist.«
Christine lächelte und nickte. Katja hatte die beiden beobachtet und begriffen, was Doris gemeint hatte. Sie drehte |175| sich zu Christine, wobei ihr Handtuch verrutschte und ihr Tattoo freigab. »Wie lange bleibt ihr?«
»Leider nur bis morgen. Wir müssen Montag beide wieder arbeiten. Aber wenn ihr Lust habt, können wir ja heute Abend zusammen essen gehen. Wir wollen in dieses Lokal, das ein Stück weiter am
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