Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt - Roman
nicht mit Hermann.«
»Ich hätte nie gedacht, dass ausgerechnet du einen Mann |193| brauchst, der dich abholt, weil du dir den Arm gebrochen hast.« Anke faltete ihre Hände auf dem Tisch und sah sie belustigt an. »Und irgendwie fehlt mir auch der Glaube, dass es tatsächlich so ist. Meinst du das wirklich ernst?«
Katja erwiderte ihren Blick. Sie wollte es spontan bestätigen, dachte aber doch noch einen Moment darüber nach. Eigentlich brauchte sie niemanden, der sie abholt, ob mit gebrochenem Arm oder ohne. Sie konnte selbst von A nach B kommen, zur Not auch mit einem Taxi. Aber das Wissen, jemanden jederzeit und egal aus welchem Grund anrufen zu können, war einfach beruhigend. Aber wie sollte sie das jemandem wie Anke erklären, die schon vor dreißig Jahren legendär unabhängig war?
Als hätte sie Katjas Gedanken erahnt, sagte die: »Mich würde das sogar wahnsinnig machen. Ich hätte eher das dringende Bedürfnis, mir mal in Ruhe einen Arm brechen zu wollen. Ohne, dass mich irgendjemand abholt, der auch noch auf mich einredet. Furchtbar.«
Der Kaffee kam, Katja rührte um, obwohl sie weder Milch noch Zucker nahm. »Das ist das Ergebnis von deinen maroden Beziehungen. Hättest du einen netten jungen Mann geheiratet, der dir die Sterne vom Himmel holt, wärst du heute nicht so selbstgerecht und zickig.«
»Na klar.« Anke strich sich eine Strähne der neuen Frisur hinters Ohr. »Alles falsch gemacht. Oder …«
Sie stockte plötzlich und hielt in ihrer Bewegung inne. Bevor Katja sehen konnte, was Anke aus dem Tritt gebracht hatte, hörte sie schon eine Stimme.
»Hallo. Stimmt es, dass Sie mit uns in die ›Weidenklause‹ kommen wollen? Das wäre ja schön.«
Georg, diesmal nicht als Retter, stützte seine Hände auf |194| dem Tisch ab und sah Anke an. »Ich wollte nur noch mal fragen, weil ich einen Tisch reservieren will.«
»Ja.« Etwas fahrig drehte Anke sich um. »Wir wollten da sowieso hin. Also, ich meine … Ihre Frau hat vorhin …«
»Schwester.«
Er hat eine schöne Stimme, fand Katja. Und er war ausgesprochen attraktiv. Nur leider verriet er gerade die Überraschung.
»Wie?« Anke starrte ihn an.
Er lächelte, beugte sich etwas näher und wiederholte: »Schwester. Sie haben mit meiner Schwester gesprochen. Also? Soll ich den Tisch reservieren?«
Niemand hätte aus Anke Kerners momentanem Gesichtsausdruck schließen können, dass sie einmal das beste Abitur des Jahrgangs gemacht hatte. Man konnte noch nicht mal eine intelligente Antwort von ihr erwarten, also sprang Katja ein.
»Gern. Wir sind so um halb acht da, ist das okay?«
»Ja.« Georg stieß sich vom Tisch ab. »Bis später.«
Sein letzter Blick galt Anke.
»Kerner, du guckst ausgesprochen debil. Sortier bitte mal dein Gesicht.«
»Hast du das gehört?« Mit einem Anflug von Aufregung sah Anke sie an. »Seine Schwester. Habe ich nicht gedacht. Kannst du mal sehen.«
Nur wenn Anke Kerner sehr aufgeregt war, sprach sie in Halbsätzen.
Auf dem Krankenhausgang, ein paar Kilometer weiter, saß Doris in der Wartezone und trank den schlechtesten Kaffee ihres Lebens. Angelika war schon seit einer halben Stunde |195| mit dem behandelnden Arzt hinter der Glastür verschwunden. Doris fragte sich, warum das so lange dauerte.
Sie griff nach einer alten Illustrierten, die auf dem kleinen Tisch neben ihr lag und blätterte sie durch. Hochadel, Schauspielerinnen, Models, Horoskope, Mode, Make-up und Kreuzworträtsel, warum veränderten diese Zeitschriften sich eigentlich nie? Mittlerweile waren die Prinzessinnen alle jünger als sie, dazu auch noch bürgerlich, nichts im Leben wurde besser. Und dann war die Mode auch noch so, dass sie damit nichts, aber auch gar nichts zu tun haben würde. Silberne Glitzerminis, na ja. Genervt warf sie das Heft zurück und sah auf die Uhr. Halb sechs. Sie blickte den Gang entlang: Eine Tür neben der anderen, dazwischen Servierwagen mit Tassen und Teekannen, das Linoleum glänzte, es würde beim Gehen sicher quietschen.
Doris hasste Krankenhäuser.
Sie war achtundzwanzig, als sie in genau so einem Gang auf den Arzt gewartet hatte, der ihr dann sagen musste, dass ihr Vater den Autounfall nicht überlebt habe. Die Nachricht erschütterte Doris bis ins Mark, ihr ganzer Körper war ein einziger Schmerz, wie im Nebel hörte sie Satzfragmente wie »Riskantes Überholmanöver«, »Nichts mehr gespürt« und »Es tut uns sehr leid«.
Margret war bis auf einen Armbruch unverletzt geblieben.
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