Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt - Roman
in den letzten Tagen in diesem Hotel erlebt hatten, nichts mehr bedeutete. Doris hatte zwar etwas blass und angestrengt gewirkt, aber die Idee mit dem Buch hatte sie gleich gut gefunden. In diesem Moment war Ankes Herz leicht geworden.
Doris Goldstein-Wagner. Anke musste lächeln, riss sich aber nach einem Räuspern Sandras sofort zusammen. Nicht, dass sich diese cremige Paste, die sie gerade auftrug, nur in die Lachfalten versenkte.
|283| Also Doris: immer perfekt angezogen, immer mit perfekten Manieren, immer mit perfektem Leben und sowieso mit dem perfekten Mann. Alles so, wie es sein sollte. Sie war genau der Typ Frau, den Anke nicht leiden konnte.
Aber nun hatte ein Wochenende gereicht, um Ankes Bild von Doris scharf zu stellen. Von der Doris, die verzweifelt versuchte, ihre Hitzewellen im Zaum zu halten, die Ängste hatte, die sich kaum noch etwas zutraute und die sich eigentlich genauso allein fühlte wie Anke. Trotz Torsten. Plötzlich wurde diese Frau wieder menschlich und war nicht mehr nur die beneidete Lüneburger Gattin mit dem leichten Leben. Und Anke fühlte sich ihr wieder so nah wie vor der unsäglichen Abiturfahrt nach Amrum. Als wäre wieder alles auf Anfang. Sie müssten diesen Neuanfang schaffen. Dafür würde sie sorgen.
»Bitte die Augen jetzt geschlossen halten«, holte Sandras Stimme sie wieder in den Behandlungsraum zurück. »Das ist eine Kaviarcreme-Maske, Ihre feuchtigkeitsarme Haut wird dankbar reagieren. Diese Maske wirkt jetzt einen Moment ein. Entspannen Sie sich, ich bin gleich wieder da.«
Anke war entspannt, deshalb brummte sie nur kurz und hörte die Tür klappen. Anscheinend hatte Sandra den Raum verlassen.
Sie atmete tief aus. Eigentlich konnte sie es überhaupt nicht leiden, wenn ihr jemand im Gesicht herumfummelte, feuchtigkeitsarme Haut hin oder her. Sie fand es distanzlos, sie wollte nicht, dass ihr fremde Frauen in die Poren sehen. Aber Doris hatte darauf bestanden. Besonders, als sie hörte, dass Anke erst ein einziges Mal in ihrem Leben bei einer Kosmetikerin war.
|284| »Das war dann bestimmt eine schlechte Behandlung«, hatte sie gesagt. »Warte mal ab, hier machen die das ganz großartig, du gehst in Zukunft bestimmt öfter hin.«
Anke bezweifelte das, auch wenn es bisher mit Sandra gar nicht so schlimm gewesen war. Aber für solche Dinge würde sie auch kein Geld ausgeben, wenn sie das könnte.
Heute Morgen war sie von dem SM S-Ton ihres Handys wach geworden. Georg schrieb, er sei gut in Paris angekommen und habe vor dem Flug noch schnell einen Tisch bei dem Italiener an der Alster bestellt, über den sie gesprochen hätten. Und er freue sich.
Anke hatte tatsächlich Herzklopfen bekommen, als sie die Nachricht las. Anke Kerner bekommt Herzklopfen. Unglaublich. Jetzt schon wieder.
Ihre Nase juckte, das waren die Nerven. Es passierte ihr immer, wenn sie sich aufregte. Sie kratzte sich gedankenverloren und erschrak über die Pampe in ihrem Gesicht. Die Kaviarcreme-Maske klebte unter ihren Fingernägeln.
Und schon hörte sie Sandras Stimme. »Ach, was haben Sie denn gemacht? Sind Sie allergisch? Es ist ja alles verwischt. So wirkt das ja gar nicht ein.«
Anke hatte überhaupt keine Lust, sich zu entschuldigen. Es war Sandras Job, Feuchtigkeit in ihre extrem empfindliche Haut zu bekommen. Sie selbst war raus aus der Verantwortung. Sie freute sich auf den Abend mit Georg, auf viele Abende mit Katja und Doris und war zum ersten Mal seit sehr langer Zeit wieder zuversichtlich. Ihr Leben würde sich endlich verbessern!
Zwei Räume weiter lag Katja in einem Sessel und ließ sich mit angehaltenem Atem die Augenbrauen zupfen. Natürlich |285| tat es nicht mehr weh, wenn man sich dieser Prozedur jahrzehntelang unterzog, trotzdem mochte sie silberne Werkzeuge, die in ihrem Gesicht herumfuhrwerkten, immer noch nicht. Ihr Vater gab ihr immer eine Pille vorab, der Satz »Wer schön sein will, muss leiden«, stammte zwar nicht von ihm, aber hätte von ihm sein können.
»Sie haben eine sehr schöne Augenbrauenform«, sagte die Kosmetikerin mit dem Namen Xenia bewundernd. »So fein. Und man merkt deutlich, dass Sie sehr viel Zeit auf Ihr Aussehen verwenden. Wenn ich nur Kundinnen wie Sie hätte, wäre mein Job viel einfacher.«
»Mmh«, antwortete Katja und dachte: ›Wenn du mich weiter so vollsülzt, hast du gleich keine Kundin mehr‹, sagte es aber nicht. Schließlich hatte Doris die Behandlung bezahlt und wie war das mit dem geschenkten Gaul? Also hielt sie
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