Bei Hitze ist es wenigstens nicht kalt - Roman
den Mund. Xenia leider nicht.
»Es ist wirklich erstaunlich. Ich habe Sie jahrelang im Fernsehen verfolgt, bestimmt seit … ach, das wäre jetzt uncharmant. Aber man kann Ihnen das Älterwerden gar nicht ansehen. Ganz toll. Ich sage ja immer, Pflege ist die halbe Miete, aber die Gene müssen auch stimmen. Unter anderem. Und bei Ihnen ist ja alles wunderbar. Wir machen nur eine leichte Feuchtigkeitspflege, Ihre Haut ist nicht einmal empfindlich, wirklich ideal. Ich trage Ihnen gleich eine Vitalmaske auf, das entspannt und belebt, die Wirkstoffe sind Extrakte aus Seide und grünem Tee, das wird Ihnen einfach guttun.«
»Ruhe auch.«
Xenia stutzte kurz, dann lächelte sie. »Ja, Ruhe tut immer gut. Es ist ja auch ein so schönes Haus. Ich arbeite erst seit einem halben Jahr hier, vorher war ich in Berlin, aber da war |286| es immer so laut und hektisch. Dagegen ist hier das Paradies. So schön ruhig und entspannt. Sie sind mit zwei Freundinnen hier, nicht wahr? Ich habe vorhin gesehen, dass Ihre Termine parallel laufen sollten. Das ist ja auch schön, wenn Freundschaften so lange halten, oder? Meine Kollegin erzählte mir, dass Sie sich alle schon seit der Schulzeit kennen. Das finde ich toll.«
Sie konnte natürlich gleichzeitig reden und eine Maske auftragen. Was aber nicht ging, war, sich eine Maske auftragen zu lassen und sich gleichzeitig gegen einen Redeschwall zu wehren. Katja hatte die eindeutig schlechtere Ausgangsposition. Zumindest ohne Einsatz von Armen oder gar Beinen. Aber sie wollte ja nicht ins Gerede kommen, weil sie eine Kosmetikerin niedergetreten hatte. Also schwieg sie und litt.
Xenia massierte die Extrakte aus Seide und grünem Tee voller Hingabe ein, dabei referierte sie mit belehrender Stimme über deren Wirksamkeit. Katja bekam langsam schlechte Laune und versuchte, an etwas Schönes zu denken.
An Alex zum Beispiel. Schön war er, das war unbestritten und dabei sogar ausgesprochen männlich und sexy. Aber eben richtig jung. Und das würde immer mehr auffallen. Je älter sie würde. Natürlich war er im Moment in sie verliebt, trotzdem sollte sie nicht so tun, als gäbe es keine Probleme. Die meisten Frauen in Alex’ Clique könnten theoretisch Katjas Töchter sein. Zweimal hatte sie Alex zu einer Party bei Freunden von ihm begleitet, beide Male hatte sie sich unglaublich gelangweilt. Nicht, weil sie sich plötzlich zu alt gefühlt hätte, sondern weil ihr die anderen zu jung, zu naiv und zu uninteressant erschienen waren. Wenn sie ganz ehrlich war: Diese jungen Hühner waren ihr einfach zu blöd. Sie hatte sich im Auto auf der Heimfahrt furchtbar auf die |287| Lippe beißen müssen, um nicht lauthals über die Partygäste abzulästern. Ganz war es ihr nicht gelungen, aber Alex’ Reaktion auf ihre ersten, durchaus noch gelinden Kommentare hatte sie davon abgehalten, über jeden einen sarkastischen Satz abzulassen. Vermutlich hatte er trotzdem gemerkt, dass seine Liebste nicht zu seiner Clique passte. Seither blieben sie für sich, was Katja in Ordnung fand. Sie fühlte sich wohl, wenn sie mit ihm zusammen war, obwohl sie sich immer öfter bei dem Wunsch ertappte, mal wieder ein ganzes Wochenende im alten Jogginganzug, ungeschminkt, ungekämmt und mit ungesundem Essen auf dem Sofa vor dem Fernseher zu verbringen. Das war mit Alex unmöglich. Nicht, weil er es ablehnte, sondern weil sie es nicht zuließ. Es war eben eine Sache, einen Freund zu haben, der fast zwanzig Jahre jünger war, und eine andere, ihn das auch merken zu lassen. Katja wirkte jünger, aber das lag, wie Xenia schon richtig bemerkt hatte, nicht nur an Pflege und guten Genen, sondern zumindest zur Hälfte an Disziplin.
Je lässiger sie aussah, je verwuschelter die Frisur war, desto mehr Zeit hatte es gebraucht. Was war das eigentlich für ein Stress, den sie sich da zumutete?
Sie hatte ganz vergessen, wie viel Spaß es ihr machte, einfach zu sagen, was sie gerade dachte, egal wie böse oder lästerlich das war. Ungeschminkt mit Anke und Doris auf dem Bett zu liegen und sich keine Gedanken darüber zu machen, wie man gerade aussieht. Das war herrlich. Und sie hatten es sich doch auch nach all den Jahren verdient. Aber das funktioniert nur mit Frauen, die sich lange kennen oder zumindest ähnliche Leben geführt haben. Die sich gegenseitig nicht mehr viel erklären müssen. Die etwas Ähnliches schon selbst mal erlebt oder zumindest gedacht haben.
|288| Das etwas zu warme Frotteehandtuch, das ihr Xenia in diesem Moment
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