Bei Rotlicht Mord
anzustellen. Sie verstehen, ich fühle mich ein wenig
verantwortlich für das, was passiert ist.“
„Was ist denn eigentlich genau
passiert?“ fragte die alte Frau.
„Nun, die Polizei wird es Ihnen
bestimmt schon mitgeteilt haben, aber... Entschuldigen Sie meine Direktheit...
Ihre Tochter hat Selbstmord begangen, oder aber man hat sie vergiftet. Genau
weiß man es noch nicht.“
Sie biß sich auf die Lippen.
„Das hat mir die Polizei allerdings
bereits gesagt“, flüsterte sie. „Mein Gott, ich verstehe das nicht! Warum sollte
sie Selbstmord begangen haben? Oder warum sollte man sie vergiftet haben?“
„Das versucht die Polizei
herauszufinden. Und ich ebenfalls.“
Ein kurzes Schluchzen schüttelte die
alte Frau.
„Ich erkenne mein kleines Mädchen
nicht wieder“, sagte sie. „Es ist so, als wäre das gar nicht mein kleines
Mädchen...“ Sie sah mich mit ihren braunen, fast schwarzen Augen an. „Gut,
Monsieur, stellen Sie Ihre Nachforschungen an. Ich erteile Ihnen die Erlaubnis
dazu. Die Polizei... Oh, bestimmt sind sie sehr fähig, all die Inspektoren.
Aber sie haben einen so großen Abstand dazu, sind so desinteressiert...
Außerdem müssen sie sich jeden Tag mit einem anderen Fall beschäftigen. Ihnen,
Monsieur, geht das Ganze doch sicher sehr nahe, nicht wahr?“
„Da können Sie ganz sicher sein,
Madame“, versicherte ich ihr.
„Ich möchte... Solange ich nicht genau
weiß, warum Françoise gestorben ist, ist sie wie eine Fremde für mich. Ihr Tod
kommt mir so unwirklich vor! Wenn ich den Grund dafür wüßte, könnte ich
vielleicht begreifen und sie wiederfinden... wie früher...“
„Ja, Madame, ich verstehe Sie. Ich
werde Ihnen ein Schreiben zukommen lassen, in dem Sie mir durch Ihre
Unterschrift bestätigen, daß Sie mich mit der Untersuchung des Todes Ihrer
Tochter beauftragen. Eine bloße Formalität, nur um mich gegenüber der Polizei
abzusichern. Und nun... Entschuldigen Sie, wenn ich an Ihren Schmerz rühre,
aber... Ich würde mich gerne mit Ihnen über Ihre Tochter unterhalten.“ Ich
erfuhr, daß Françoise zwar keine schlechte Tochter, jedoch sehr launenhaft
gewesen war. Eine unabhängige, aber dabei in gewisser Weise naive junge Frau,
die sich leicht hatte beeinflussen lassen. Mit kaum zwanzig Jahren hatte sie
sich in Paris ein Zimmer gemietet, so daß sie nicht jeden Abend nach Châtillon
zurückfahren mußte. Und das, obwohl es ihrer Mutter gesundheitlich schon damals
nicht gut ging. Schließlich war sie ganz von zu Hause ausgezogen. Allerdings
hatte sie ihre Mutter nicht völlig im Stich gelassen. Hin und wieder war sie in
dem Häuschen aufgetaucht, um nach dem Rechten zu sehen. Außerdem hatte sie
jeden Monat Geld geschickt. Ich glaubte zu verstehen, daß Madame Pellerin nach
dem Tod ihrer Tochter nicht so recht wußte, wovon sie leben sollte.
„Was meinen Sie, Madame: Hatte
Françoise Feinde?“ fragte ich sie.
„Oh, ganz im Gegenteil! Sie hatte nur
Freunde…“
„Kennen Sie einen gewissen Roudier?“
„Paul Roudier, ja. Ein reizender
junger Mann! Zur Zeit ist er im Ausland, glaube ich, beruflich. Françoise und
er hatten die Absicht zu heiraten.“
„Und Henri Dolguet?“
Der Blick der alten Frau verdüsterte
sich.
„Ach, von dem haben Sie auch gehört?“
„Er war so gut wie verlobt mit Ihrer
Tochter, hat man mir erzählt.“
„Ja, aber den hätte ich mir nicht als
Schwiegersohn gewünscht. Erstens war er viel älter als sie, und dann... Na ja, ich
mochte ihn eben nicht. Hab ihn nur zwei- oder dreimal gesehen, aber trotzdem...
Er wirkte nicht offen auf mich. Nun, ich will nicht schlecht über ihn reden. Er
ist tot und... Sie wissen doch sicher, auf welch grausame Weise er gestorben
ist?“
„Ja, ich weiß. Ihre Tochter“, hakte
ich nach, „hat in der Rue Saint-Benoît gewohnt. Ich würde gerne einen Blick auf
ihre persönlichen Sachen werfen. Haben Sie einen Schlüssel zu ihrer Wohnung?“
„In diesem Punkt hat man Sie schlecht
informiert“, erwiderte Madame Pellerin.
Sie erzählte mir, daß Françoise zwar
offiziell in der Rue Saint-Benoît in einem Mansardenzimmer gewohnt habe — eine
Zeitlang eben zusammen mit Dolguet — , aber daß sie seit ihrer Verbindung mit
Roudier in dessen Wohnung in der Rue des Saules gelebt habe.
„Die Sachen, die noch in der Rue
Saint-Benoît waren“, fuhr sie fort, „sind gestern mit Erlaubnis der Polizei
hergebracht worden. Lauter alter Kram! Ich hab alles nach oben in ihr
Mädchenzimmer bringen
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