Bei Rotlicht Mord
hindurchgearbeitet, aber ohne Erfolg. Sie war auf nichts
Interessantes gestoßen. Ich war ihr bei der Durchsicht behilflich, ohne das
Ergebnis verbessern zu können.
Der Nachmittag ging zu Ende. Wir
wollten schon den Laden dicht machen, als das Telefon klingelte. Ich nahm den
Hörer ab.
„Hallo, Nestor Burma?“ fragte eine
heisere Frauenstimme.
„Am Apparat.“
„Ah, guten Tag. Hören Sie, ich habe
etwas zu verkaufen.“
„Was denn?“
„Das weiß ich selbst nicht, aber wenn
ich Ihnen einen Teil meiner Lebensgeschichte erzähle, wird es Sie vielleicht
interessieren.“
„Ach ja?“
„Ja, ich glaube schon.“
„Und darf man fragen... Haben Sie auch
einen Namen?“
„Dolguet.“
„Dolguet?“
„Jeanne Dolguet.“
Das war eine Neuigkeit.
„Aha!“ stieß ich hervor.
„Den Namen kennen Sie, nicht wahr? Ich
meine natürlich nicht mich...“
„Ja, ja, Dolguet... Hab ich schon mal
gehört...“
„Der Liebhaber Ihrer Sprecherin,
stimmt’s?“
„Meiner Sprecherin? Na ja... gut.“
„Um den geht es.“
„Ihr Bruder?“
„Nein, mein Mann.“
Wieder eine Neuigkeit!
„Sehr schön“, sagte ich. „Wenn Sie zu
mir ins Büro kommen wollen... Ich werde hierbleiben.“
„Oh!“ seufzte sie. „Können Sie nicht
vielleicht zu mir kommen? Sehen Sie, Monsieur, seit mehreren Tagen bin ich
krank. Ich bin völlig entkräftet, kann mich kaum auf den Beinen halten. Ich
schaff es nicht mal mehr, mich anzukleiden...“
„Ziehen Sie sich aber trotzdem etwas
über, wenn Sie mich empfangen.“
„Sie kommen also?“
„Natürlich! Besser, wir bringen’s
gleich hinter uns.“
„Wann?“
„Jetzt gleich, wenn’s Ihnen recht
ist.“
„Ja, es ist mir sehr recht... Ah,
bevor ich’s vergesse... Ich wohne in der Rue d’Alésia, Ecke Rue Sarrette.“
Sie verriet mir auch noch die
Hausnummer und die Etage, dann legten wir auf.
„Also wirklich!“ fauchte Hélène, die
das Gespräch über einen Kopfhörer verfolgt hatte. „,Ich schaffe es nicht mal
mehr, mich anzukleiden“! Und auf Ihre Aufforderung, sich wenigstens etwas
überzuziehen, hat sie gar nicht reagiert! So was kann auch nur Ihnen
passieren!“
Ich nahm das Telefonbuch zur Hand, das
nach Straßen geordnet ist. In der Rue d’Alésia wohnte unter der angegebenen
Nummer tatsächlich ein Dolguet. Einfach nur Dolguet, ohne Vornamen — oder
zumindest dem Anfangsbuchstaben des Vornamens — und ohne Berufsangabe. Die
Telefonnummer lautete Denfert 12-13. Ich wählte sie. Es meldete sich dieselbe
rostige Stimme wie kurz zuvor.
„Entschuldigen Sie“, sagte ich, „aber
gerade ist mir ein Klient unerwartet in die Quere gekommen. Ich werde mich ein
wenig verspäten.“
„Das macht nichts, Monsieur.“
Ich legte wieder auf.
„Huch, sind Sie aber mißtrauisch!“
lachte Hélène.
Ich nickte langsam, legte das Foto von
Henri Dolguet in meine Brieftasche (doppelt identifiziert hält besser!),
wünschte Hélène einen schönen Sonntag und ging hinaus.
* * *
Es war ein dreistöckiges Haus. Wenn
man dem Schild, das seit mindestens zehn Jahren im Fenster der Loge hing,
Glauben schenken durfte, dann war die Concierge „gleich wieder zurück“. In
jeder Etage wohnte nur eine Mietpartei, und in der zweiten war es Madame
Dolguet. Das wußte ich bereits, und die Aufschrift des Briefkastens bestätigte
es mir. Ich stapfte also die Treppe hoch und läutete an der Tür in der zweiten
Etage. Als Antwort darauf klapperten Absätze drinnen im Korridor.
„Wer ist da?“ fragte die heisere
Stimme, die ich vom Telefon her kannte.
„Nestor Burma“, antwortete ich.
Die Tür wurde geöffnet.
Madame Dolguet war meinen
Vorstellungen von Kleiderordnung gefolgt. Mehr als das: Sie hatte sich richtig
aufgedonnert, so als wolle sie ausgehen. Ich war ein wenig enttäuscht von
meiner Gastgeberin. Ihre blonden Haare waren gefärbt, und im großen und ganzen
wirkte die junge Frau etwas ordinär, um nicht zu sagen, wie eine Nutte.
Sie schien sich besser auf den Beinen
halten zu können, als sie am Telefon behauptet hatte. Doch so richtig wohl
schien sie sich auch nicht zu fühlen.
„Hier entlang“, sagte sie.
Wir durchquerten einen kurzen
Korridor, dann öffnete sie eine Tür, und wir betraten eine Art Studio, das
recht geschmackvoll eingerichtet war: warmer Teppich, freundliche
Peddingrohrmöbel, weiches Sofa. Das Sofa stand in einer Nische...
Und auf dem Sofa lag eine zweite
Blondine. Doch diese war, so ganz nebenbei gesagt, an Hand- und
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