Bei Rotlicht Mord
früher einmal, etwa während des Zweiten Kaiserreichs, eine
befahrbare Allee gewesen sein mochte. Es war der einzige sichtbare Weg nach
draußen. Ich hatte keine Wahl. Ich fuhr also los, ohne zu wissen, was mich
erwartete: eine Mauer oder ein Gitter.
Ein Tor erwartete mich, aber es war
aus Holz. Eins von diesen Gartentoren aus Latten. Unter dem Gesplitter des
Materials fuhr ich vom Gelände und war so schön in Schwung, daß ich beinahe im
Feld auf der anderen Seite eines Grabens gelandet wäre. Gerade noch rechtzeitig
konnte ich das Steuer herumreißen. Ich gab Gas und folgte den Wagenspuren, die
einen kurvenreichen Weg bildeten. In was für einem gottverlassenen Nest mochte
ich mich wohl befinden?
* * *
Nach geraumer Zeit, die mir wie eine
Ewigkeit erschien, und nach vielem Kreuz- und Quergefahre, wobei ich ständig das
Gefühl hatte, von einem anderen Wagen verfolgt zu werden, gelangte ich wie
durch ein Wunder auf eine asphaltierte Straße. Ein einzelnes Haus stand da,
klotzig und quadratisch, verlassen wie eine einsame Schildwache.
All das sah ich im Schein des Mondes,
der extra für mich hinter einer dunklen Wolke hervorgekommen war. Endlich eine
Straße gefunden zu haben, die diese Bezeichnung verdiente, freute mich sehr.
Was mich aber schon weit weniger freute, war das, was ich neben dem Haus zu
erkennen glaubte: das Meer, hätte man meinen können. Ja, so langsam hatte ich
Visionen...
Mit dem Mut des Verzweifelten fuhr ich
auf das Haus zu. Ich war keine hundert Meter mehr von ihm entfernt, da weigerte
sich mein Wagen, auch nur einen Zentimeter weiterzufahren. Klar, ohne einen
Tropfen Benzin...
Ein paar Minuten lang vergaß ich meine
aussichtslose Situation, meine Müdigkeit und Mutlosigkeit. Ich kauerte auf
meinem Sitz und atmete die feuchte Meeresluft ein, die durch die kaputte
Windschutzscheibe ins Wageninnere drang. Der Wind frischte noch ein wenig auf,
pfiff um den Wagen herum, glitt sanft übers Dach und strich mir übers Gesicht.
Die Geräusche des Windes wurden von nahem Wellengeplätscher übertönt. Davon
abgesehen, war alles still.
Ich schüttelte mich, sah auf meine Uhr,
die immer noch stand und mir deshalb nicht weiterhelfen konnte, und stieg aus,
um mir die Beine auf dem Seitenstreifen ein wenig zu vertreten.
Zum hundertsten Mal fragte ich mich,
in was für ein verdammtes Seeräubernest mich meine Gangster, Diebe, Schläger
und Kidnapper verschleppt hatten.
Zu beiden Seiten der Straße, die wie
ein Deich mit Stützmauern aussah, erstreckte sich bis zum Horizont das, was
mein umnebeltes Hirn eben für das Meer gehalten hatte und was nichts anderes
war als ein See, dessen Wasser vom Wind bewegt wurde und im Mondschein
glitzerte, sobald der sich hinter einer Wolke hervorwagte.
Als Landschaft ganz hübsch. Sehr
malerisch. Etwas zu romantisch für meinen Geschmack. Für einen Touristen mochte
der Anblick faszinierend sein.
Ich beugte mich über die Stützmauer,
an der das gelblich schäumende Wasser leckte. Die Sträucher, die am Fuß der
Mauer wuchsen, wiegten sich im Wasser. Einige Meter weiter schien das Wasser
unter der Straße herzufließen, und zwar in Richtung auf den schon erwähnten
quadratischen Kasten.
Ohne einen bestimmten Grund ging ich
auf das Haus zu, um es mir von nahem anzusehen.
Es brachte keinerlei lustige
Farbtupfer in die Landschaft. Seine zugemauerten Fenster, seine grobe Holztür,
die von einem verrosteten Vorhängeschloß, das die Ausmaße einer Bratpfanne
hatte, verschlossen war, seine vom Wasser umspülten Grundmauern, all das machte
es in meinen Augen zu einer Karikatur des Hauses Usher. Aber ganz ohne Zweifel
und abgesehen von allen Auswüchsen meiner Phantasie, mußte dieses
offensichtlich verwahrloste Haus über eine Schieberanlage oder einen derartigen
Mechanismus verfügen. Ich war auf etwas Interessantes gestoßen, wie ich später
feststellen sollte; aber im Augenblick konnte ich nicht viel damit anfangen.
Über meine Position hinsichtlich des Pariser Meridians gab es mir jedenfalls
keine Auskunft.
Ich ging zu meinem Wagen zurück, nahm
den Reservekanister aus dem Kofferraum und goß Treibstoff in den Tank. Danach
zündete ich mir eine Pfeife an und verließ diesen trostlosen Ort. Ich hatte
nach wie vor das unangenehme Gefühl, mich hinter den sieben Bergen zu befinden.
Mein Gefühl täuschte mich. Schon nach
etwa zwei Kilometern, auf einer verlassenen Kreuzung, erfaßte der eine, noch
funktionierende Scheinwerfer eine ganze Armee von
Weitere Kostenlose Bücher