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Bei Tag und bei Nacht

Bei Tag und bei Nacht

Titel: Bei Tag und bei Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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ihn über Gennies Schultern bis herab zur Taille, »aber habe ich dir erlaubt, meinen Mantel zu benutzen?«
    »Oh, wie ungezogen von mir.« Gennies Lächeln wurde keck. »Willst du ihn sofort wiederhaben?«
    »Keine Eile.« Er nahm Gennie bei der Hand und führte sie zur Treppe. »Es hat Zeit, bis wir oben sind.«
    Vom Schlafzimmerfenster aus blickte Grant Gennies Wagen nach, als sie davonfuhr. Es war Nachmittag geworden, und die Sonne strahlte. Grant brauchte das Alleinsein, wahrscheinlich ging es Gennie ebenso. Der Gedanke beruhigte ihn, gleichzeitig überlegte er, wie lange er die Trennung aushalten würde.
    Oben im Studio wartete die Arbeit auf ihn. Die Routine und Disziplin, die er sich dabei auferlegt hatte, waren ein Teil seines Lebens geworden. Doch wie sollte er arbeiten, wenn sich alles in seinem Kopf nur um Gennie drehte und sein Körper noch ihre Wärme spürte?
    So viele Jahre war es ihm gelungen, der Liebe aus dem Weg zu gehen, und dann hatte er unbedacht die Haustür geöffnet. Könnte er seinen Lebensrhythmus ändern? Seine Regeln umstoßen und Kompromisse schließen? Am Ende würde er Gennie wehtun, und wie ein Bumerang käme der Schmerz zu ihm zurück. Im Augenblick war die Leidenschaft vorherrschend, doch würden nicht Forderungen kommen und Bindungen? Könnte er sich einsperren lassen?
    Er hatte kein Recht, sich in jemanden wie Gennie zu verlieben. Ihr Lebensstil war Lichtjahre entfernt von seinem, und ihre Unschuld machte sie nur noch verletzlicher.
    Sie würde niemals zufrieden sein, hier in der Einsamkeit mit ihm zu leben, und er würde sie nie darum bitten. Für ihn dagegen wäre es unmöglich, seine Ruhe aufzugeben für Partys, Blitzlichter und all den gesellschaftlichen Wirbel. Wäre er so wie Shelby …
    Grant dachte an seine Schwester, die Menschenansammlungen liebte, Einladungen und Lärm. Jeder von ihnen hatte auf seine Weise den Schock kompensiert, der mit dem grässlichen öffentlichen Sterben des Vaters einherging. Doch auch nach fünfzehn Jahren waren die Narben noch zu frisch. Vielleicht hatte Shelby durch ihre Liebe zu Alan MacGregor die Furcht vor Gefahr, Verlust und Abhängigkeit überwunden.
    Grant erinnerte sich an Shelbys Besuch in Windy Point, bevor sie sich zur Heirat mit Alan entschloss. Wie elend, verstört und voller Zweifel war sie hier aufgetaucht. »Willst du dich dem Leben verschließen«, hatte er sie gefragt, »wegen einer Sache, die vor fünfzehn Jahren passiert ist?« Sie hatten in der Küche gesessen, und Shelbys Entgegnung mit großen, verweinten Augen hatte gelautet: »Und was tust du?«
    In gewissem Sinn stimmte das. Aber durch seine Arbeit, die er liebte und gewissenhaft verrichtete, war er immer mit der Außenwelt verbunden. Er zeichnete für Menschen, zu ihrem Vergnügen und ihrer Unterhaltung, weil er sie auf seine Art verstand und gernhatte. Er mochte nur nicht bedrängt werden und niemanden an sich heranlassen.
    Nun war er doch in die Fallgrube gestolpert – und in was für eine! Wartete er nicht jetzt schon wieder ungeduldig auf Gennies Rückkehr, auf den Klang ihrer Stimme und ihre lächelnden Augen? Hatte sie das neue Bild schon angefangen? Trug sie noch sein Hemd? Es würde ihr bis zu den Knien reichen und im Wind flattern. Sie konnte arbeiten, und er stand herum und träumte wie ein Teenager. Grant verzog das Gesicht und verließ das Zimmer. In diesem Moment klingelte das Telefon.
    Zuerst wollte er es ignorieren. Das tat er oft, doch dann sprang er eilig die Stufen hinunter. Der einzige Apparat befand sich in der Küche. Dadurch gelang es ihm, ungestört zu arbeiten und zu schlafen. Er riss den Hörer von der Gabel.
    »Ja?«
    »Grant Campbell?«
    Obwohl er ihn nur einmal getroffen hatte, erkannte er die Stimme dieses Mannes sofort. »Hallo, Daniel!«
    »Dich zu erreichen ist ein Kunststück. Warst du verreist?«
    »Nein.« Grant lachte. »Ich gehe nicht immer ran.«
    Daniels missbilligendes Schnauben amüsierte ihn. Sicher saß er in seinem Privatturm am riesigen Schreibtisch und rauchte eine der geliebten, verbotenen Zigarren.
    »Wie geht es dir?«
    »Gut, bestens!« Daniels Stimme schwoll an vor Stolz. »Vor zwei Wochen bin ich Großvater geworden.«
    »Herzlichen Glückwunsch.«
    »Ein Junge.« Daniel zog tief an seiner dicken kubanischen Zigarre. »Sieben Pfund schwer, stark wie ein Bulle: Robert MacGregor-Blade. Sie nennen ihn Mac. Gutes Blut.« Er streckte sich. »Der Junge hat meine Ohren.«
    Grant hörte zu und freute sich. Seine Schwester

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