Bei Totschlag drücken Sie die #-Taste
welchen Notfall hat. Ich gebe die Einzelheiten an Kollegen weiter, die sich um genau diese Situation kümmern. Und wieder ist ein Fall bearbeitet.
Schön wärâs. Abgesehen davon, dass viele Leute nicht mal wissen, wo sie gerade sind (»Puh, tja, welche Autobahn fahre ich denn immer?«), finden die Kollegen am Einsatzort oft eine ganz andere Situation vor, als ich sie ihnen geschildert habe. Das liegt zum einen an der Wahrnehmung des Anrufers. Aus Angst, Aufregung oder Unwissenheit interpretiert er einen Sachverhalt nicht ganz der Realität entsprechend. Als zweite Schwierigkeit kommt die kommunikative Ebene hinzu: Der Anrufer und ich benutzen quasi nicht den gleichen »Code«. Wenn mir jemand sagt, er sei überfallen worden, dann verstehe ich das als Raubdelikt â platt ausgedrückt: Gewalt anwenden oder androhen und etwas wegnehmen. Jemanden abziehen, wie Jugendliche das nennen. So mancher Anrufer jedoch gibt an, er sei überfallen worden, und meint in Wirklichkeit, dass sein Auto in der vergangenen Nacht von Unbekannten aufgebrochen wurde, um das Navigationsgerät zu entwenden.
Die dritte Schwierigkeit besteht darin, dass ich nicht sehen kann, was der Anrufer gesehen hat oder sieht. Das führt dazu, dass ich mir bildlich vorzustellen versuche, was mein Gesprächspartner beschreibt. Lücken in der Erzählung werden dabei automatisch durch meine Interpretation des Sachverhalts ergänzt. Ein klassisches Beispiel:
Es regnet in Strömen, Blitze durchzucken die Nacht. Ein Mann nimmt langsam, aber bestimmt sein Gewehr vom Schrank. Mit groÃen, bittenden Augen blickt die Frau ihn an. »Bitte nicht«, wispert sie.
Was ist da los? Wahrscheinlich häusliche Gewalt, oder? Die arme Frau! In diesem Fall aber droht ihr gar keine Gefahr. Ihr Mann ist Jäger, und sie macht sich Sorgen um ihn, weil er nachts in einem fürchterlichen Gewitter noch in den Wald will, um ein verletztes Reh zu suchen.
Kurz gesagt: Meistens wird nichts so heià gegessen, wie es gekocht wird. Doch kann man sich dessen sicher sein? Als Polizist erlebt man Tag für Tag so manches Drama, dessen blutiger Ausgang bei einem effizienten Einschreiten verhindert werden kann. Weit häufiger sind die Umstände jedoch schlicht und einfach kurios.
Genug der Vorrede, schauen wir uns an, wie das Stille-Post-Spiel im Alltag eines Polizisten aussehen kann â¦
Messerstecherei
»Polizeinotruf.«
Eine weibliche Stimme: »Kommen Sie schnell! Hier schlagen sich welche.«
»Wie viele denn?«
»Ãh ⦠hm ⦠weià nicht. Aber einer hat ein Messer!«
»Und wo sind die Personen?«
»Ja ⦠äh ⦠vor der Tür! Moment mal.« Eine männliche Stimme. »Hallo? Kommen Sie schnell! Die schlagen sich hier, und einer hat ein Messer!«
»Können Sie mir bitte sagen, wie viele das genau sind?«
»Ja, zwei.«
»Vor Ihrer Haustür!?«
»Nein. Bei mir im Keller.«
»Im Keller bei Ihnen? Wer ist denn das?«
»Ja ⦠äh ⦠keine Ahnung. Kommen Sie schnell!«
Hatten Sie das gleiche Bild vor Augen wie ich? Mindestens zwei Männer, die â warum auch immer â in einem fremden Keller sind und sich brutalst schlagen, wobei einer kurz davor ist, von einem gefährlichen Kampfmesser verletzt zu werden?
Die Wahrheit: Es gab kein Messer, keine Schlägerei, keinerlei Gewalt. Sondern nur einen lautstarken verbalen Streit um eine Frau â¦
Schüsse
»Polizeinotruf.«
Die Stimme eines älteren Mannes. »Guten Tag. Hier wird die ganze Zeit geschossen! Kommen Sie schnell!«
»Sehen Sie das, oder hören Sie das?«
»Ich höre das. Das kommt aus Richtung Sportplatz. Da war im Frühling schon mal was. Da bin ich sogar angeschossen worden!«
Ich schicke sofort einen Streifenwagen.
Rückmeldung der entsandten Kollegen:
»Die angeblichen Schüsse stellten sich als Geräuschkulisse von Skateboardfahrern da. Zu seiner Schussverletzung: Er hat sich im Frühjahr im Garten gebückt und dann ein Zwirbeln im Rücken verspürt.« War wohl ein Hexen schuss â¦
Der Müll muss weg
»Polizeinotruf.«
Eine alte Dame. »Guten Tat. Entschuldigen Sie bitte die Störung. Aber hier war jemand mit einem Lieferwagen. Der hat einfach Müll bei uns vor dem Haus auf die Wiese geworfen. Das war vor einer Woche. Ich habe dem extra Zeit gelassen, um das wieder wegzuräumen,
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