Bei Tränen Mord: Roman (German Edition)
überhaupt kein Auge für meine Schuhe, dass ich auch
kein schlechtes Gewissen zu haben brauche, ob sie neidvoll reagieren könnte. Nein,
Lena interessiert sich nur für Rubbellose und ein deftiges Mittagessen. Zum Glück
findet sie in der Fußgängerzone das, was sie liebt. Wir suchen uns ein Plätzchen
auf einem Mauervorsprung bei den Kasematten neben einer mächtigen Linde. Lena beißt
herzhaft in ihr Dönerkebab, und ich picke mit meiner Plastikgabel ein Salatblatt
aus der Plastikbox. Der Frühling lässt Saarlouis in all seiner Pracht erstrahlen.
Die Sonne scheint durch die Baumkrone und malt kleine Kringel auf das Sonnenblumengelb
meiner Schuhe. Ich kann mich gar nicht daran sattsehen. So macht das Leben Spaß.
»Wie läuft’s
’n heut bei dir?«, fragt Lena zwischen zwei Bissen. Sie hat die Beine ebenfalls
von sich gestreckt, und der Anblick ihrer abgewetzten Turnschuhe neben meinen Manolos
hat durchaus einen besonderen Reiz.
»Eigentlich
super. Ich hatte fast nur Zusagen heute. Und bei dir?«
»Nit so.
Alle meckern nur rum.« Sie wischt sich mit dem Handrücken einen Klecks weißer Soße
von der Wange.
Ich nicke
mitfühlend. »Ja, manchmal hat man eine schlimme Liste erwischt. Ich frage mich echt,
woher das kommt. Hast du einen Unfreundlichen am Apparat, dann gibt’s gleich noch
mehr davon.«
Wir brechen
langsam auf, und ich genieße die Blicke der glücklichen Menschen, die in der Fußgängerzone
vor den Lokalen zu Mittag essen, während wir zum Großen Markt zurückschlendern.
Wir plaudern weiter darüber, warum es an manchen Tagen ganz leicht ist, Zeitungen,
Wein, Babyspielsachen oder Sextoys zu verkaufen und an anderen so wahnsinnig schwer.
Als ob eine höhere Macht die Listen für uns zusammenstellte – eine Macht, die alle
Kunden kennt.
Als wir
das Büro betreten, werden wir vom Chef erwartet. Der Dürrbier steht in der Nähe
des Fahrstuhls und hat nichts Besseres zu tun, als bei jedem, der hereinkommt, auf
die Uhr zu sehen. Sein verkniffener Mund legt es nahe, schweigend den Kopf zu senken
und in schnellster Gangart zu seinem Stuhl zu hasten. Ich spüre seine Blicke im
Rücken wie Nadelstiche und frage mich, ob es Lena vor mir genauso geht, vermute
aber, dass die Speckumrandung ihres etwas ausladenderen Rückens sie vor Pieksern
dieser Art schützt. Sie bewegt sich zu langsam! Dürrbiers Blicke pieken jetzt nicht
mehr nur in meine Schultern, sondern streichen wie eisige Finger hinunter und über
meine Beine bis zu den Manolos. Beinahe glaube ich, seine kratzige Stimme in meinem
Kopf zu hören: »Wieso kann die Schober sich solche Schuhe leisten und meine Frau
nicht?«
Schnell,
Lena, beeil dich doch ein bisschen! Unser geteilter Schreibtisch ist schon ganz
nahe, da passiert es: Hat eine der netten Kolleginnen einen Fuß vorgestreckt oder
lag ein Kabel im Weg? Jedenfalls gerate ich ins Straucheln. Kennen Sie ›Tom und
Jerry‹? Wenn der dumme Kater losrennt und plötzlich merkt, dass er mit allen vieren
über einem Abgrund in der Luft hängt, dann kriegt er so einen ganz bestimmten Gesichtsausdruck.
Tja, ich bin mir sicher, dass ich genauso dumm aus der Wäsche gucke, als ich das
Gleichgewicht verliere, mich Lenas breitem Rücken gefährlich nähere und registriere,
dass ich mich definitiv nicht mehr abfangen kann, ganz gleich, wie sehr ich mit
den Armen rudere. Ich muss dabei ein Warngeräusch ausgestoßen haben, denn Lena springt
unerwartet behände zur Seite, bevor ich mich Halt suchend an ihr festklammern kann.
Und dann liege ich da, auf Mund und Nase. Einziger Trost ist mir die Vorstellung,
dass meine Hacken elegant die Manolos in die Höhe recken – für alle Neider weithin
sichtbar.
Bei so einem
Sturz schießt das ganze Blut ruckartig nach vorn. Deshalb spüre ich es nicht nur,
sondern ich weiß, dass mein Gesicht geradezu leuchtet wie ein rotes Alarmsignal,
als ich mich aufrapple. Im Büro herrscht für unendliche Sekunden lähmende Stille,
bis ein Telefon klingelt und damit das Zeichen setzt, dass alle wieder losreden,
schreiben, wählen, tippen müssen. Außer Lena, die mich fragt, ob ich mir wehgetan
habe, zeigen alle den Anflug eines zufriedenen Lächelns. Der Dürrbier ist schon
mit zackigen Bewegungen im Anmarsch, den Rücken durchgestreckt, als habe er einen
Stock verschluckt. Kennen Sie Christoph Maria Herbst als Alfons Hatler in den Slapstickkrimis
vom ›Wixxer‹? Dann wissen Sie, wie Dürrbier aussieht, bevor er mich erreicht hat
und seine Gesichtszüge unter Kontrolle
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