Beichte eines Verfuehrers
unserer ersten Begegnung. Diese Distanz war notwendig gewesen. Ich schaute hinter ihr her und wünschte mir, dass ich irgendwann erfuhr, ob mit ihr alles in Ordnung war.
Aber das Problem war wohl, dass man das nie wusste.
11. KAPITEL
Juli
Diesen Monat heiße ich Priscilla. Ich arbeite in einer Investmentbank und trage mein blondes Haar zu einem Franzosenzopf geflochten. Ich trage Perlenohrringe in den kleinen, perfekt geformten Ohrläppchen. Alles an mir ist makellos, schlank und perfekt aufeinander abgestimmt. Ich bin nicht schön, aber niemand bemerkt es.
Die Party meiner Freundin Tandy ist ermüdend und langweilig. Die Unterhaltungen drehen sich nur um Aktien und Anleihen, Theater und Bücher. Im Hintergrund wird leise klassische Musik mit Streichern und Klavier gespielt. Ich tue erst gar nicht so, als würde ich die Musik erkennen. Ich halte ein Glas Wein in der Hand, aber nichts zu essen, obwohl das Büffet überladen ist mit Platten voll ausgefallener Speisen.
„Aber wenn du die utopische Zukunft von Huxleys Schöne neue Welt mit der Dystopie vergleichst, die Orwell in 1984 aufzeigt, dann musst du mir doch zustimmen, dass beide zur gegenwärtigen Situation nicht möglich sind“, sagt der Mann neben mir ernst.
Rette mich! Ich forme die Worte lautlos mit dem Mund in die Richtung des Mannes, der sich gerade dicht an mir vorbei in Richtung Büffet schiebt. Er ist knapp zehn Zentimeter größer als ich, obwohl ich meine hochhackigen Pumps trage. Er hat ebenfalls blondes Haar und seine Augen sind von einer hellen Farbe, die ich nicht genau bestimmen kann. Gleich und gleich gesellt sich gern, und schon auf den ersten Blick passen wir perfekt zusammen.
„Es ist doch so, Benson“, sagt der Fremde leichthin. „Beides ist Fiktion. Romane. Das heißt, sie sind erfunden. Verstehst du? Und beide Romane spiegeln die Gesellschaft, in der die Autoren zum Entstehungszeitpunkt lebten. Also ist ihre Vorstellung von der Zukunft völlig anders als das, was wir heute von der Zukunft erwarten.“
Ich bin beeindruckt, er ist wirklich schnell. Um an ein Wiener Würstchen in Blätterteig zu gelangen, greift er um mich herum. Behutsam legt er die Hand auf meinen Unterarm, damit er nicht gegen mich fällt, falls jemand ihn anstößt. Benson registriert seine Hand auf meinem Arm und legt erst richtig los.
Warum denken Männer eigentlich immer, dass sie sich in einem Wettstreit befinden? Benson scheint jedenfalls davon auszugehen, denn er lehnt sich herüber, sodass ich nun zwischen den beiden Männern eingeklemmt bin. „Ich weiß, dass es Fiktion ist, Wilder. Ich bin ja kein Idiot.“
Wilder, der sich keinen Schritt von mir fortbewegt hat, obwohl er das jederzeit könnte, lacht. „Natürlich bist du das nicht.“
Benson glaubt wohl, dass Wilder ihn lächerlich machen will. Finster schaut er ihn an.
„Hör mal zu, ich wollte nur sagen, dass die heutige Welt keinen Platz lässt für eine Utopie, aber niemand erwartet doch so was wie den großen Bruder.“
Neben mir berührt seine Schulter immer noch mit jeder Bewegung meine Schulter. Wilder beißt von dem Wiener Würstchen im Schlafrock ab.
„Wenn ich ehrlich bin, Benson, würde ich nur Romane über die Zukunft lesen, wenn darin Lustroboter und unbegrenzt viel Sex vorkommen.“
Benson schaut mich entsetzt an, als erwarte er eine angewiderte Reaktion von mir. Obwohl Wilders Kommentar mich im ersten Moment abstößt, ist es doch auch aufregend, etwas so Krasses zu hören. Im Übrigen langweilt Benson mich. Wilder hingegen nicht …
„Was ist mit dir?“ Wilder dreht sich zu mir um und lächelt mich an. Sein Lächeln passt perfekt zu ihm. „Was liest du gerne?“
Normalerweise lese ich keine Romane, und als ich den beiden das sage, schaut Benson mich ehrlich schockiert an. Na ja, das gefällt mir natürlich, denn was auch immer er in mir gesehen hat, er ging wohl davon aus, dass ich seine Leidenschaft fürs Lesen teile. Er tritt einen Schritt zurück und räumt das Feld, aber nicht ohne einen letzten, giftigen Blick in Wilders Richtung zu werfen. Fast als wolle er sagen, dass er sich nicht geschlagen gibt.
Ich bin nicht traurig, als er geht. Benson ging mir langsam auf die Nerven. Aber Wilder …
„Priscilla Eddings.“ Ich reiche ihm meine sorgfältig manikürte Hand.
„Joe Wilder.“ Seine Hand hält meine einen winzigen Moment länger als üblich.
Ich registriere es. Ebenso nehme ich wahr, dass er so dicht neben mir steht, dass ich seinen Duft riechen kann.
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