Beifang
und wichtigtuerisch: Ätsch, ich weiß, worüber du mit wem vor dreißig Jahren gestritten hast! Er setzte zu einer Frage an und musste sich erst räuspern.
»Ich habe in Ihrem Schaufenster einen Gedichtband von Christine Lavant gesehen«, hörte er sich sagen. Er würde gerne einen Blick hineinwerfen …
Die Buchhändlerin nickte, vielleicht hatte sie dabei ein wenig die Augenbrauen hochgezogen, und holte das Buch, freilich nicht aus dem Schaufenster, sondern aus einem der Regale. Sie brachte ihm den Band, der eigentlich nur ein Bändchen war, und blieb neben ihm stehen, als er es aufschlug - unvermittelt spürte er körperliche Nähe, und zwar so stark, als hätte er einen Schlag in die Magengrube abbekommen.
Er zwang sich zu lesen …
Baum in der Sonne, ohne Nest und Blatt,
wozu dich schütteln? Schamhaft geht der Tod
und mit viel Sorgfalt unter dir vorüber.
Wo wohnt die Furcht? Auch sie wär noch lebendig
Und nicht so kalt. - Wir frieren ineinander,
ganz ohne Hoffnung ...
Irgendetwas brachte ihn dazu, das Buch sinken zu lassen und aufzusehen, der Frau in die Augen. Sie gab den Blick zurück, und für einen Augenblick, von dem er nicht mitbekam, wie lange er wirklich gedauert haben mochte, standen sie sich so gegenüber, schweigend, dann schlug die Ladenklingel an, die Zeit setzte wieder ein, und ein Paar kam herein, das so aussah, als ob es einen Stadtführer für Freiburg suchte oder einen Ratgeber für Paarbeziehungen.
Er nehme diesen Band, sagte Berndorf, aber er wolle sich noch ein wenig im Laden umsehen, und die Buchhändlerin nickte und wandte sich dem Paar zu, das aber keinen Stadtführer, sondern einen Kriminalroman haben wollte, der in Freiburg spielte, und während die Buchhändlerin einen ganzen Stapel solcher Romane zusammensuchte, fand Berndorf noch einen zweiten Band mit Briefen und Texten der Christina Thonhauser, die ein früh auf einem Ohr ertaubtes, tuberkulöses Arme-Leute-Kind aus Groß-Edling im Lavanttal war, lebenslang elend. Und eine große Dichterin dazu, glaubte Berndorf zu wissen und verbot es sich gleich wieder. Solche Urteile standen ihm nicht zu, überhaupt hasste er das Urteilen, hatte es schon immer gehasst und immer schon einen schlechten Geschmack im Mund davon bekommen … Warum wollte er das da lesen? Es hatte ihn angesprungen, auch das.
Das Paar zog befriedigt mit einem halben Stapel Romane von dannen, und die Buchhändlerin wandte sich wieder Berndorf zu, aber ein zweites Mal wollte die Zeit nicht stehen bleiben. Berndorf legte die beiden Bücher auf den Ladentisch und fragte:
»Sie sind Vren?«
»Ja, das bin ich«, sagte sie, ohne aufzusehen, und tippte die Rechnung.
»Ich hätte gerne mit Ihnen gesprochen«, fuhr er fort und suchte das Geld für die beiden Bücher heraus und überlegte, ob ihm nicht doch noch etwas einfiele, den täppischen Einstieg zu kaschieren, irgendeine Überleitung von der sinnig ausgesuchten Dichterin aus dem Lavanttal zur Provence und zur Unheilskrähe Eisholm …
»Schade«, antwortete Vren und gab ihm das Wechselgeld. »Einen Augenblick lang habe ich geglaubt, Sie interessieren sich wirklich für Gedichte. Aber bitte! Übrigens frage ich mich schon die ganze Zeit, was ich denn wohl angestellt habe, dass mich die Polizei aufsucht...« Sie sah auf und lächelte, und in diesem Lächeln lag der Anflug einer spöttischen, vielleicht auch leicht wehmütigen Resignation.
»Ich dachte, der Geruch hätte sich gelegt«, antwortete Berndorf lahm, »Polizist war ich in einem früheren Leben, aber das ist lange her...«
»Es ist nicht der Geruch«, erklärte Vren, »es ist der Blick. Aber müssen Sie jetzt wirklich Bücher mit traurigen Gedichten kaufen, um einen Vorwand für Ihre Ermittlungen zu haben? Und wenn es zum Showdown kommt, zitieren Sie dann Verse? Ich glaube, das könnte mir gefallen...«
»Was Sie einen Showdown nennen«, antwortete Berndorf, »das vermeide ich meistens.«
»Ach? Das geht?« Sie verließ ihn und ging zur Ladentür, hängte ein Schild nach draußen und schloss ab. »Es ist gleich zwölf Uhr«, erklärte sie und blieb vor ihm stehen. »Also?«
»Zu viert in den Pyrenäen«, sagte Berndorf. »Rückfahrt durch die Provence. Camping am Ufer des Gard. Gabriele hat eine Fischvergiftung. Natürlich ist es Gabriele, der das passiert. Erinnern Sie sich?«
Vren sah ihn an, die hellen Augen wachsam, aber ohne erkennbare Anzeichen von Zorn oder Entrüstung. »Ungern.« Plötzlich runzelte sie die Stirn. »Aber ich
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