Beifang
»woanders ermittelt man erst, und dann erhebt man Anklage. Hier macht man’s umgekehrt. Respekt!«
»Ich kann verstehen, dass Sie das so sehen«, antwortete Kuttler. »Aber trotzdem darf ich Ihnen einen guten Morgen wünschen.«
»Ob das noch ein guter Morgen werden kann, liegt an Ihnen. Was genau wollen Sie eigentlich von meinem Mandanten wissen?«
»Ob er Kurse in Selbstverteidigung gegeben hat.« Kuttler meldete sich an der Sprechanlage. »Und ob er mit den Kursteilnehmern Handkantenschläge trainiert hat …« Die Tür wurde freigegeben, Kuttler hielt sie für die Anwältin auf, und Elaine Drautz trat kopfschüttelnd ein.
»Ich habe gerade richtig gehört?«, fragte sie. »Sie legen jetzt das große Schleppnetz aus? Aber meinen Mandanten lassen Sie gleichzeitig und ungerührt weiter in der U-Haft schmoren?«
»Man wird doch noch fragen dürfen«, meinte Kuttler friedlich. »Falls Sie Ihren Mandanten mit einem Haftprüfungstermin frei bekommen, müssen wir sowieso von vorne anfangen.«
Die Anwältin sagte nichts mehr und folgte Kuttler und dem Justizbeamten, der sie führte, in das Besuchszimmer, das noch immer oder schon wieder nach kaltem Zigarettenqualm roch. Morny wurde hereingebracht, wieder trug er seinen Trainingsanzug, aber an diesem Morgen war sein Gesicht grau und fast schwammig. Er gab der Anwältin die Hand, dann - nach einem kaum merklichen Zögern - auch Kuttler.
»Herr Kuttler hat um dieses Gespräch gebeten«, stellte die Anwältin klar, als sie alle drei Platz genommen hatten, »und da Herr Morny nichts zu verbergen hat, haben wir diesem Wunsch auch gerne entsprochen. Nur halte ich es nach unseren bisherigen Erfahrungen mit der Ulmer Polizei für besser, bei diesem Gespräch dabei zu sein.« Ein knappes Lächeln unterstrich, dass ihre Worte genau so unfreundlich gemeint waren, wie sie sich anhörten.
Kuttler erklärte, warum er gekommen war. »Ich habe mir sagen lassen, dass Handkantenschläge ein ziemlich untaugliches Mittel zur Selbstverteidigung sind.«
»So?«, fragte Morny gleichgültig. »Vorhin, als ich Ihnen die Hand gab, da hätte ich Sie genauso gut mit einem Schlag kampfunfähig machen können. Mit einem Schlag mit der Handkante. Ungeeignet, ja?« Plötzlich schien in seinen Augen ein Funke aufzuleuchten.
»Hauptmann Morny, bitte!«, intervenierte die Anwältin.
»Sie sollten von mir keinen körperlichen Angriff befürchten müssen«, meinte Kuttler verlegen. »Ich wollte auch nur wissen, ob Ihnen in den Kursen, die Sie gegeben haben, irgendjemand aufgefallen ist, der ein besonderes Interesse an dieser Schlagtechnik gehabt hat. So, dass Sie sich vielleicht gefragt haben, was will der eigentlich damit?«
Morny hatte mit gerunzelter Stirn zugehört. »Ich bin Nahkampfausbilder, das ist richtig. Handkantenschläge gehören hier, und nur hier, zum Repertoire. Nun habe ich auch schon Kurse in Selbstverteidigung gegeben, also zum Thema, wie wehre ich einen Angreifer ab, der mich nachts an der Straßenbahnhaltestelle oder in einer Unterführung anfällt. Das waren zumeist Kurse für Zivilisten, für Leute aus der Standortverwaltung, also da ist man froh, wenn man denen ein paar einfache Abwehrgriffe beibringen kann, da ist eigentlich keiner fit genug, um eine solche Technik wie den Handkantenschlag zu beherrschen …« Er brach ab, als sei ihm unvermutet etwas eingefallen.
»Und es ist nie vorgekommen, dass jemand danach gefragt hat, also wissen wollte, wie muss man einen solchen Schlag ansetzen und wie übt man den?«
Morny sah auf. »Sicher, immer wieder bin ich das gefragt worden«, sagte er. »Ich hab aber den Leuten gesagt, dass sie sich mit so etwas möglicherweise nur selbst in Gefahr bringen.« Er zuckte mit den Schultern. »Natürlich kann man sich hinstellen und gegen einen Punchingball hauen und glauben, da habe man jetzt den Handkantenschlag trainiert. Dass ein solcher Schlag nur sitzt, wenn die gesamte Körperspannung, die ganze gesammelte Konzentration, in ihn eingeht - das hab ich dann das eine oder andere Mal schon vorgeführt.«
»Und wem bitte«, schnappte die Anwältin, noch ehe Kuttler überhaupt den Mund aufbekam, »wem bitte haben Sie das vorgeführt?«
Morny blickte auf. »Das weiß ich nun wirklich nicht mehr, das war immer wieder mal. Dabei hab ich so sehr viele Kurse gar nicht gegeben.«
»Diese Kurse«, fragte Kuttler, »die haben Sie angeboten?«
»Das hat die SG gemacht«, sagte Morny, »die Sportgemeinschaft der Standortverwaltung. Wenn Sie
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