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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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da mehr wissen wollen, fragen Sie doch meinen Vermieter, den Herrn Freundschuh, der hat das organisiert und war auch immer selbst dabei.«
     
     
     
    Am späten Vormittag hatte der Himmel aufgeklart und den Blick auf die blaue, in den Höhen noch schneebedeckte Bergkette des Schwarzwalds freigegeben. Durch die Straßen der Stadt wehte eine Brise, die eine ferne Ahnung des Frühlings mit sich brachte und von der sich Berndorf durchlüften ließ. Er hatte einen frühen Zug genommen, die lange Fahrt über dösend, die Zeitungen, die er sich am Kiosk gekauft hatte, unbeachtet auf dem Nebensitz. Irgendwo zwischen Karlsruhe und Freiburg hatte ihn sein Mobiltelefon aufgeschreckt...
    »Ehret hier.«
    »Ehret wer?« Eine verstörte, zittrige Altmännerstimme.
    »Sie hatten mich doch gewarnt, es würden Journalisten kommen … erinnern Sie sich?«
    Ehret, ja doch. Fionas Vater. Sie müssen den Journalisten keine Auskunft geben. Hatte er es ihm nicht gesagt?
    »Was diese Menschen schreiben - wir können das nicht hinnehmen …«
    Hatte er ihm nicht gesagt, dass er am besten für ein paar Tage verreisen solle, er und seine Frau?
    »Meine Tochter …«, sagte die Stimme.
    Deine Tochter ist tot. Nichts sonst hat eine Bedeutung.
    »Wir können uns nirgendwo mehr sehen lassen …«, fuhr die Stimme fort.
    Das stimmt nicht, mein Lieber. Du wirst es lernen. »Sie haben doch einen Anwalt?«, sagte Berndorf laut. »Er soll die Berichte überprüfen, sich gegebenenfalls an den Presserat wenden oder einen Experten zuziehen, in Hamburg gibt es eine Kanzlei, die sich darauf versteht...«
    Tut man das? Einen verzweifelten Menschen an einen Anwalt
verweisen? »Ich bin gerade unterwegs und kann hier schlecht über diese Dinge sprechen … Ich rufe Sie heute Abend zurück, ist Ihnen das recht?«
    Welches ist eigentlich der feigere Versuch, einem Gespräch zu entkommen - der Verweis auf einen Anwalt oder das Versprechen zurückzurufen?
    Es dauerte eine Weile, bis er die Erinnerung an Ehrets Anruf von sich geschüttelt hatte, aber dann hielt der Zug auch schon, er war in Freiburg angekommen. Auf einem im Hauptbahnhof ausgehängten Stadtplan verschaffte er sich einen Überblick und ging dann bis zur Kaiser-Joseph-Straße und noch ein Stück weiter.
    Vrens Bücherstube lag in einer der mit Kopfstein gepflasterten Gassen unweit des Freiburger Münsters, »Stube« war nicht tiefgestapelt: Fast hätte er das kleine Schaufenster übersehen, in dem einige schmale Gedichtbände ausgestellt waren, dazu als einzige Dekoration die Fotografien der Autoren, eine davon fiel Berndorf auf: das Portrait einer früh gealterten Frau, den Kopf mit dem ausgezehrten Gesicht in eine Kapuze gehüllt wie in ein Tuch, aus Unglück gewebt.
    Die Ladentüre mit dem vergitterten Fensterchen hatte eine Klingel. Es schien des Altmodischen fast zu viel.
    Der Laden selbst war dann doch größer, als es das Schaufensterchen hatte erwarten lassen, ein lang gestreckter, halbdunkler Schlauch, an dessen Ende sich eine hofseitige Fenstertür befand. Und das Sortiment - nun ja, es sah auch nicht viel anders aus als in jener Berliner Buchhandlung, in der er und Barbara Kunden waren, denn wer kann schon von Lyrik leben?
    Berndorf sah sich um, hinten aus dem Laden kam eine Frau auf ihn zu, die zunächst nur in den Umrissen zu sehen war. Sie war größer, als er erwartet hatte, mit breiten Hüften, deren Bewegungen träg und geschmeidig zugleich wirkten. Über den Jeans trug sie einen grobmaschigen Pullover, das blonde Haar war straff nach hinten gebunden, das Gesicht voll, ungeschminkt, soviel Berndorf sah. Sie hatte große, saphirblau anmutende Augen und sagte irgendetwas, begrüßte ihn wohl
oder fragte, was sie für ihn tun könne, doch Berndorf hörte gar nicht richtig zu. Konnte das überhaupt die wahre und richtige Vren sein? Er hatte sich, weiß der Himmel warum, eine schlanke, kühle nordische Fee vorgestellt, warum eigentlich? Feenhaft war diese nicht.
    Im Zug hatte er sich vorgenommen, nach Literatur über die Beauvoir und ihre Beziehung zu Sartre zu fragen, angeblich hatten sich Vren und Eisholm über das berühmte Paar gestritten, Veesendonk hatte ihm so etwas erzählt. Wenn es so gewesen sein sollte, war es ein merkwürdiges Streitthema gewesen, eines, das einen darüber hätte nachdenken lassen müssen, worum es bei den beiden denn wohl wirklich gegangen sei …
    Jetzt, beim Anblick dieser Frau mit den großen hellen Augen, fand er seinen geplanten Einstieg nur noch albern

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