Beifang
warten, dass sich der Sturm legt.« Schöne Ratschläge gebe ich da, dachte Veesendonk. Diese Nachrichtenund Bilderjäger sind Freischaffende, und wenn es ernst wird, waschen die Verlage ihre Hände in geheuchelter Unschuld. Das Einzige, was hülfe, wäre ein Baseballschläger, um die Fotoapparate in Stücke zu schlagen und die Fressen dazu.
Was denke ich da!
Über den Rasen stapfte Steinbronner zur Veranda zurück. »Ringelnattern!«, sagte er grimmig, als er die Stufen hochstieg. »Warum geht hier nie etwas seinen geraden Weg?«
»Offenbar haben Sie noch nie eine Ringelnatter beobachtet«, sagte Veesendonk. »Die bewegen sich sehr zielgerichtet. Aber wieso beschäftigt Sie das?«
Steinbronner erklärte es ihm. Von draußen hörte man, dass ein Wagen hielt. Im leeren Haus hallten Schritte wider, dann öffnete sich die Tür zur Veranda, der Kriminalhauptkommissar Ivo Dorpat trat heraus und hielt die Tür für einen jungen athletischen Mann auf, der noch einen Trainingsanzug trug und dessen Gesicht gerötet war, vor Verlegenheit oder noch von der Anstrengung?
Er ist wirklich verlegen, dachte die Anwältin Elaine Drautz und unterdrückte ein Gefühl von Rührung oder was immer es war, was sie für die Dauer eines Augenblicks empfand.
»Sie sind Herr Lukas Freundschuh?«, fragte Veesendonk.
Der junge Mann nickte.
Veesendonk stellte zunächst sich vor, dann die übrigen Anwesenden, was die Anwältin dazu nützte, Lukas ein strahlendes Lächeln zu schenken, als habe sie ihm niemals vorgetäuscht, eine potentielle Mieterin zu sein. Der Richter bemühte sich, die Vorstellungsprozedur möglichst zwanglos abzuwickeln, doch die Anwältin sah, dass der junge Mann Qualen der Verlegenheit litt. Wusste er, ahnte er, wer zum Beispiel »der Herr Ehret« war und welches die Gründe seiner Anwesenheit waren?
»Wir danken Ihnen sehr«, fuhr Veesendonk dann fort, »dass Sie Herrn Dorpat hierher begleitet haben. Es geht um ein oder zwei Fragen, die Sie sicher sehr schnell beantworten können...«
»Vielleicht sollte ich besser...« Wolfgang Freundschuh, der Vater, hatte sich aus einer Ecke hervorgewagt, aber Veesendonk hob abwehrend die Hand, noch ehe Freundschuh mit seinem Satz zu Ende gekommen war.
»Von keiner dieser Fragen sollten Sie sich betroffen fühlen«, fuhr Veesendonk fort. »Wir sind hier alle erwachsen, und als Erwachsene wissen wir, dass Kinder und Jugendliche ihre eigene Welt schaffen und haben müssen, ihre eigenen großen und kleinen Geheimnisse, ihre Verstecke, und das manchmal ganz im wörtlichen Sinne.«
Der Richter deutete auf den Tisch, auf dem zwischen Stapeln von leeren Vogelnestern und solchen, die mit kleinen zerbrochenen Eierschalen verklebt waren, noch immer die Schuhschachtel
mit den Illustrierten-Ausschnitten und der nackten Barbiepuppe lag. »Können Sie uns etwas zu dieser Schachtel sagen?«
Lukas Freundschuh starrte auf die Schachtel, das gerötete Gesicht wurde dunkelrot, er setzte zu einem Satz an und räusperte sich und brachte schließlich ein: »Nein, das hab ich noch nie gesehen« heraus. Als offenbar wenig geübter Lügner starrte er vor sich hin, die Anwältin registrierte - schon wieder fast gerührt -, dass selbst Lukas’ Ohrmuscheln rot angelaufen waren.
»Schauen Sie es sich genau an«, fuhr Veesendonk fort. »Vielleicht sollte ich noch einmal hinzufügen, dass überhaupt nichts dabei ist, wenn ein Junge mit dreizehn oder vierzehn Jahren solche Ausschnitte sammelt.« Er zögerte etwas. »Es hat auch nichts zu sagen, wenn ein Junge in diesem Alter eine solche Puppe besitzt...«
Na, dachte Elaine, ich weiß nicht!
»Ich hab das nie gesehen«, sagte Lukas Freundschuh mit festerer Stimme. »Ich kann Ihnen nichts dazu sagen.«
Er wiederholt sich, dachte Elaine. Er hat es nicht gesehen. Das ist die Platte, die er aufgelegt hat, und etwas anderes werden wir von ihm nicht zu hören bekommen.
Auch Veesendonk schien eingesehen zu haben, dass er nicht weiterkam. »Gut«, sagte er. »Dann habe ich noch eine zweite Frage. Sie wird nicht unbedingt leicht zu beantworten sein, und Sie dürfen gerne einen Kalender oder andere Unterlagen zu Rate ziehen … Wie haben Sie den Nachmittag und vor allem den Abend vom zwölften Mai vergangenen Jahres verbracht? Das war ein Freitag.«
Lukas Freundschuh sah sich um, als suche er Hilfe, aber seinen Vater schien er dabei nicht zu sehen.
»Schluss jetzt«, sagte Wolfgang Freundschuh plötzlich, wie aus einer Erstarrung erwacht. »Sie können meinen
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