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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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der man steht, noch so fest verankert sein.
    Vier leere Nester hatte er bereits zusammengeklaubt, ein fünftes saß gerade etwas mehr als eine Armlänge von der Leiter entfernt. Er fluchte, dann entschied er sich, noch drei Stufen weiterzusteigen, um von oben einen Blick in das Nest zu werfen. Er war ganz oben auf der Leiter, die durchaus schwankte, wie er jetzt merkte, und dieses Nest war auch noch leer bis auf eine gelblich schimmernde Eierschale, oder was war das? Er konnte es nicht genau erkennen. Mit dem linken Fuß suchte er nah am Stamm einen Ast, auf den er das Gewicht verlagern konnte, wie viele Punkte hatte er jetzt wohl auf der Liste der lächerlichsten Polizeiaktionen? Neun, ganz bestimmt. Der Ast schien ihn zu tragen, mit ausgestrecktem Arm griff er nach dem Nest, das in eine Astgabel gebaut war und festsaß. Er ruckelte daran und streckte sich noch weiter aus, da rutschte ihm der Fuß vom Ast, er fiel, für einen endlosen Augenblick fiel er und hörte nicht auf zu fallen …
    Zweige krachten, er griff nach irgendetwas, das Halt versprach, schmerzhaft schlug ihm etwas gegen den Schritt, und plötzlich saß er rittlings auf einem großen, dicken Ast, die Hände gegen den Stamm gestützt, die Hände? Nein, eine Hand, die andere - die rechte - war noch immer in das Nest gekrallt und presste es gegen die rissige, von grauem Moos überzogene Rinde des Stammes. Vorsichtig, damit er nicht das Gleichgewicht verlor, tastete er mit der linken Hand nach den wichtigeren Körperteilen, aber es schien nichts zerquetscht worden zu sein.
    Als das geklärt war, betrachtete er das Nest. Was er zu sehen geglaubt hatte, war kein Rest einer Eierschale. Es war ein kleiner, schmaler, goldglänzender Ring mit einem kristallinen Splitter. Er schüttelte den Kopf, dann sah er sich um. Die Leiter war zu weit weg, er musste am Stamm hinunterklettern, das Vogelnest in der Hand. Mit einiger Mühe brachte er das Bein über den Ast, der seinen Sturz aufgehalten hatte, und machte sich an den
Abstieg. Die Äste waren in dieser Höhe kräftig und in ausreichendem Abstand, so dass er sich an ihnen herablassen konnte. Allerdings nicht bis ganz nach unten. Plötzlich hörten die Äste auf, zwei oder drei Meter über dem Erdboden, der freundliche Herr Freundschuh oder sein verdammter Gärtner hatte sie abgesägt, so blieb Kuttler nichts anderes übrig, als das Nest mit dem Ring nach unten zu werfen, sich mit beiden Händen am untersten Ast einzuhängen und dann fallen zu lassen...
    Auf allen vieren fand er sich auf dem Boden wieder. Zehn Punkte, dachte er, und versuchte, Arme und Beine zu bewegen. Offenbar hatte er sich nichts gebrochen.
    »Geht’s gut?«, sagte eine Stimme. Vermutlich gehörte die Stimme zu den Schuhen, die er vor sich sah. Es waren schwarze Herrenschuhe, schon eine Weile nicht mehr geputzt, und auch die schwarzen Jeans, die auf den Schuhen aufsaßen, hatten schon länger keine Bürste mehr gesehen.
    »Gut, ja doch, falls ich nicht auf dem Friedhof gelandet bin«, antwortete Kuttler, stand auf und begann, sich Staub und Moos und Fichtennadeln von den Hosenbeinen zu klopfen.
    »Was haben Sie da gerade gesagt?«, fragte Berndorf, der Mann in den schwarzen Jeans.
    »Falls ich nicht auf dem Friedhof … ach Quatsch! Hat Steinbronner Sie auch zu dieser Veranstaltung hier eingeladen?«
    »Bin nicht eingeladen«, sagte Berndorf. »Ein Vöglein hat mir davon gesungen... apropos! Sie haben da ein Vogelnest verloren.« Er deutete zum Fuß des Stammes.
    »Danke«, sagte Kuttler, ging zum Baum und hob das Nest auf. »Sie werden es nicht glauben, was da drin ist.« Er zeigte seinen Fund. »Ein Ring! Ich nehme an, Janina könnte mir sagen, ob er aus einem Kaugummi-Automaten stammt oder aus einem Überraschungs-Ei.«
    »Ein guter Ruf ist köstlicher als großer Reichtum«, sagte Wendel Walleter, der neben Berndorf getreten war, »und anziehendes Wesen besser als Silber und Gold.«

    Wir hätten vielleicht besser doch eine Hebebühne holen sollen«, sagte der Mann im Overall zu Steinbronner. Doch der winkte nur ab und sah zu, wie Kuttler sich die Kleidung ausklopfte … Dass dieser Mann kein Tarzan ist, kann jeder sehen, dachte Elaine; vermutlich hatte der Kriminaldirektor seinen Untergebenen nur deshalb auf diese Fichte klettern lassen, weil er ihn ein wenig demütigen wollte. Oder hatte Steinbronner gar nicht auf Kuttler geachtet, sondern auf die beiden Männer, die durch die untere Gartenpforte gekommen waren?
     
    Berndorf kam mit

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