Beifang
Sohn nicht so überfallen, ich verlange, dass ein Anwalt eingeschaltet wird …«
»Wie Sie meinen«, sagte Veesendonk. »Aber Ihr Sohn ist volljährig, er kann selbst entscheiden. Nur würde ich jetzt doch vorschlagen« - er wandte sich an Dorpat -, »dass diese Angelegenheit
im Neuen Bau weiterverfolgt wird. Dort kann gegebenenfalls ein Anwalt hinzugezogen werden, aber auf einer Aussage von Herrn Lukas Freundschuh muss ich bestehen. Sein Vater kann ihn selbstverständlich begleiten.«
Dorpat blickte fragend zu Steinbronner, der nickte, und Dorpat trat einen Schritt auf Lukas zu, die Hand erhoben, als wollte er sie dem jungen Mann auf den Arm legen. Vielleicht war der Schritt zu hastig, vielleicht mochte es der junge Mann nicht, dass man ihm die Hand auf den Arm legte, jedenfalls sprang er hoch, aus dem Stand, als hätte jemand eine enorme Stahlfeder losschnellen lassen, wirbelte durch die Luft, traf Dorpat mit dem Fuß unterhalb des Brustbeins, kam wieder auf den Füßen auf, rannte los, schlug einen Haken an Kuttler vorbei und gab ihm im Vorbeirennen noch einen Stoß, dass dieser gegen Steinbronner flog, und weg war er.
Das leere Wohnzimmer roch noch immer nach Farbe, eine einzelne Glühbirne warf ein unfreundliches Licht auf das frisch abgeschliffene Parkett. Steinbronner stand am Fenster und sah in die Dämmerung hinaus, Veesendonk und Desarts hatten sich von der Veranda zwei Campingstühle hereingeholt und saßen am Tapeziertisch. Sonst war niemand mehr im Raum. Die Leute vom Technischen Hilfswerk waren gegangen, ebenso die Anwälte, bald nach Lukas’ Flucht, mit ihnen auch Siegfried Ehret, dieser mit einem merkwürdig scheuen Blick auf den anderen Vater: auf Wolfgang Freundschuh, der in einem der Streifenwagen mitgefahren war, vielleicht würde er helfen können, seinen Sohn wieder einzufangen oder zur Vernunft zu bringen, wie immer man das nennen wollte. Schließlich waren auch Berndorf und sein Begleiter Walleter gegangen, unaufgefordert, aber es war auch so zu merken gewesen, dass sie in die Gesellschaft der Amtspersonen nicht gehörten.
Niemand sprach.
Von Zeit zu Zeit holte Steinbronner sein Mobiltelefon heraus und warf einen Blick darauf, als sei längst eine SMS überfällig,
die die Festnahme des jungen Freundschuh meldete. Aber vielleicht schaute er auch nur auf die Uhr.
»Tja«, sagte Desarts, »ich fürchte …« Er sprach den Satz nicht zu Ende, und niemand antwortete ihm.
Ein Wagen näherte sich und hielt. Steinbronner schniefte.
Ein Mann kam durch das Haus und betrat, ohne zu klopfen, das Wohnzimmer. Es war Kuttler.
»Haben Sie ihn?«, fragte Steinbronner.
»Nein.«
»Natürlich nicht«, sagte Steinbronner.
»Weiter unterhalb führt ein Steg über die Blau«, berichtete Kuttler, »den hat er genommen und ist bis zum Einkaufszentrum auf der anderen Seite gelaufen. Dort hat er einem Jungen das Rad abgenommen und ist weg.«
»Wieso weg?«, wollte Steinbronner wissen. »Sie waren mit drei Einsatzfahrzeugen hinter ihm her. Waren das vielleicht Kett-Cars?«
»Nein«, antwortete Kuttler. »Aber der Zug kam.«
»Bitte?«
»In Blaustein gibt es noch immer keine Bahnunterführung«, erklärte Veesendonk. »Nur zwei Übergänge mit Schranken. Die Wartezeiten können ganz erheblich sein.«
Kuttler nickte Veesendonk zu und stutzte. Wie immer hatte der Richter in freundlichem, sachlichem Ton gesprochen. Dennoch schwang in der Stimme ein Anflug von Zorn oder Unwillen mit, und in dem Licht der einen Glühbirne schienen sich die Haare des Richters wieder zu sträuben, im Gerichtssaal war Kuttler das schon einmal aufgefallen. Und auf einmal erinnerte ihn der Richter an jemand anderen, genauer: an ein Bild von jemand anderem...
Steinbronner hatte sich abgewandt, und Kuttler kam sich überflüssig vor. Er räusperte sich und sagte, er wolle jetzt das Gelände südlich der Bahnlinie abfahren und auch die Radwege und kleinen Pfade. »Nur wird die Sicht allmählich schlecht.«
»Fahren Sie mit Gott«, sagte Steinbronner, »aber fahren Sie!«
Kuttler ging, und Steinbronner packte einen der zusammengeklappten
Campingstühle, die an der Wand lehnten, faltete ihn auseinander und setzte sich zu den beiden anderen Männern an den Tapeziertisch.
»Ich denke, wir werden den ganz großen Hammer herausholen«, sagte er und sah Veesendonk an. »Großfahndung, Hundestaffel. Morgen vielleicht auch noch Hubschrauber.«
»Sie vergeuden damit nur Steuergeld«, sagte Veesendonk. »Im schlimmsten Fall
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