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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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einschüchternde Wirkung erst richtig in weißem Dunst oder Pulverdampf zu entfalten. »Der Lokführer weiß nicht, ob Eisholm vor den Zug gefallen ist oder gestoßen wurde. Aber die Einvernahme ist...« - Kuttler zögerte, sprach dann aber weiter - »also, sie ist ein bisschen blöd gelaufen, und morgen wird er wahrscheinlich überhaupt nicht mehr wissen, was er wirklich weiß und was die Polizei ihm einreden will.«
    Berndorf schwieg.
    »Außerdem ist Eisholm offenbar ein Antidepressivum verschrieben worden«, fuhr Kuttler fort. »Die Tabletten hab ich oben gesehen.«
    »Ah ja?« Erstmals ließ Berndorf eine Reaktion erkennen. »Soviel ich weiß, waren Sie heute als Zeuge dran. War’s schlimm?«
    »Vergnügungssteuer muss ich deshalb nicht zahlen.«
    Kuttler ordnete sich links ein und hielt vor einer Ampel, deren Rotlicht fleckig durch den Nebel schimmerte.

    »Eisholm hat sich an dem Mann festgebissen, der mit der Morny geschlafen hat und den wir immer noch nicht kennen. Und diese Kette, die wir nicht mehr gefunden haben, die hatte es ihm auch angetan.«
    »Mir auch«, antwortete Berndorf. »Übrigens kommt mir die ganze Anklage ziemlich lausig vor. Desarts muss noch etwas in der Hinterhand haben.«
    »Na ja«, sagte Kuttler und nahm den Fuß vom Gaspedal, weil ihm die Nebelleuchte eines Wagens vor ihm zu nah kam. »Sie wissen, warum Hauptmann Morny nach Hause gekommen ist?«
    Berndorf runzelte die Stirn. »Es war kein Urlaub?«
    »Wie man’s nimmt. Ist es Urlaub, wenn jemand beurlaubt wird?«, fragte Kuttler zurück. »Egal. Es hat etwas gedauert, bis wir von der Bundeswehr präzise Auskunft bekommen haben. Morny ist suspendiert worden, weil er sich geprügelt hat.«
    »Lagerkoller?«
    »Weiß ich nicht«, sagte Kuttler. »Aber er hat eine Prostituierte und deren Zuhälter krankenhausreif geschlagen. Irgendwie passt das, finden Sie nicht?«
    Berndorf schwieg. Sie kamen an die Kreuzung vor dem Justizgebäude, und wieder war die Ampel vor ihnen auf Rot geschaltet.
    »Sie können mich hier rauslassen«, sagte Berndorf und löste den Sicherheitsgurt. »Danke fürs Mitnehmen.«
    Dann stieg er aus und schloss den Wagenschlag.
    Die Ampel schaltete auf Grün, und Kuttler bog nach rechts ab. Der Alte hat schlechte Laune, dachte er. Aber das war nicht sein Problem. In ein paar Minuten würde er zuhause sein. Zuhause und bei Puck.

Donnerstag, 14. Februar

    Wie schon zu Beginn der Verhandlungstage zuvor drängten sich die Besucher in der Vorhalle zum großen Sitzungssaal des Landgerichts. Sie standen in Gruppen beieinander, auf Einlass wartend, aber der Geräuschpegel war niedriger als sonst, Gespräche wurden halblaut geführt, in fast verschwörerischem Ton.
    »Ein weiser König sondert die Gottlosen aus und lässt das Rad über sie gehen«, bemerkte Wendel Walleter halblaut zum Gerichtsreporter Frenzel. Walleter, ein pensionierter Fernfahrer, galt als Experte - es gab kaum ein Landgericht in diesem Teil Deutschlands, wo man den Mann mit dem mächtigen Bauch nicht kannte. Noch im Beruf hatte er jede Ruhe- und Wartezeit genutzt, um sich in den nächst erreichbaren Gerichtssaal zu setzen, denn alle Tragödien und Komödien der Welt fanden für ihn dort statt, nirgendwo sonst, und seit er im Ruhestand war, versäumte er keinen der großen Prozesse mehr.
    »Ja doch«, antwortete Frenzel und warf ihm über seine Halbbrille hinweg einen misstrauischen Blick zu, »das mit dem Rad trifft den Sachverhalt recht gut, aber wen meinen Sie jetzt mit dem weisen König? Unseren guten alten Richter Veesendonk hoffentlich nicht.«
    »Ich meine gar nichts«, antwortete Walleter. »Salomo hat das gesagt.«
    »Ich habe nichts anderes erwartet«, meinte Frenzel. »Hoffen wir, dass seine Weisheit auch diesen Casus erleuchten wird, der macht sonst keinen lachen...« Er unterbrach sich, denn ein Mann in schwarzem Mantel, den zerbeulten Hut in der Hand, hatte sich ihnen zugesellt und tauschte erst mit Walleter, dann mit Frenzel einen Händedruck.

    »Hab ich’s mir doch gedacht«, sagte Walleter. »Gestern Abend noch hab ich zu Tonio gesagt, da draußen geht einer, der geht, wie sonst nur...«
    »Und ich hab einen Ranzen gesehen«, antwortete Berndorf. »Da hab ich gedacht, das ist ein Ranzen, wie ihn sonst nur... fast wär ich auf ein Glas dazugekommen. Aber ich wollte erst ins Hotel.«
    »Also«, sagte Frenzel, »da reist der gewesene Kriminalhauptkommissar Berndorf aus Berlin an, steigt in Ulm ab, just als dieser Prozess anläuft, just als

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