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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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als wollte er sagen, jetzt hab ich es hinter mir.«
    »Hatte er ja auch«, meinte der Streckenkontrolleur.
    »Und der heute?« Berndorf nahm einen Schluck Wasser. »Wie hat Sie der angeschaut?«
    »Da war der Kopf nicht ab.« Schröttle schüttelte sich. »Die Beine waren weg und ein Arm, direkt oberhalb vom Ellbogen... Und wir hatten auch ziemlich schnell alles beieinander, nur der eine Unterschenkel, der war einfach weg und verschwunden, bis ausgerechnet ich ihn hab finden müssen.« Er nahm einen kräftigen Schluck. »Den hatte die Lok mitgeschleppt, aber es war eigentlich gar nicht viel damit passiert, er war sauber unterm Knie abgequetscht, und der Socken war noch ganz, es war einer von diesen Socken, die bis hierher gehen...« - Er hob sein Knie und zeigte mit der Hand die Stelle unmittelbar darunter an. - »Also ein Kniestrumpf, könnte man sagen, und der Schuh, also den Schuh hätten Sie einfach ausziehen können und mitnehmen, ein ganz ein elegantes Stück war das...« Er griff noch einmal nach seinem Bier und überlegte es sich dann anders. »Was ich sagen will: das ist ein richtig feiner Pinkel gewesen.«
    »Du meinst den«, sagte der Streckenkontrolleur, »dem der Schuh gehört hat? Aber die Nähte an dem Schuh, hast du dir die auch richtig angesehen?«
    »Erika?«, rief der Wirt. »Das Hauptgericht mit Salat?«
    »Nein«, ertönte eine energische Stimme aus der Küche. »Zur Schweinshaxe gibt es Sauerkraut, da braucht es keinen Salat...«
    Schröttle hatte aufgemerkt. Plötzlich wurde er bleich, wandte sich vom Tresen ab und rutschte von seinem Hocker. Aber bis zur Toilette schaffte er es nicht mehr. Er erbrach sich in den Gastraum, genau vor den Stammtisch.
     
     
     
    Vom 17. Stock des Hotelturms aus sah man nicht eben mehr als von weiter unten auch: Draußen war Nacht, und hätte Kuttler mit einer Taschenlampe hinausgeleuchtet, so hätte das Licht
sich in den Nebelschwaden gebrochen, die an den Fenstern des kleinen Salons vorbeizogen.
    Der Mann, der ihn hier heraufgeführt hatte, hieß Rodriguez und war Chief Irgendwas Manager, soweit Kuttler verstanden hatte. Er trug einen dunklen Anzug und spitze schwarze, glänzend polierte Schuhe. Außerdem hatte er einen Ausdruck im Gesicht, der Beflissenheit, Kompetenz und Besorgnis in einem zum Ausdruck bringen sollte.
    »Der Gast hat die Suite vorgestern bezogen«, sagte Rodriguez. »Da fällt mir ein - vermutlich wollen Sie mit der Mitarbeiterin sprechen, bei der er eingecheckt hat?«
    Kuttler nickte. Rodriguez holte sein Handy heraus und rief die Zentrale an. Immerhin, dachte Kuttler. Er konnte Leute mit solch spitzen Schuhen nicht leiden, aber dass dieser da gar nicht erst versucht hatte, seine Fingerabdrücke an das Haustelefon hinzutappen, war für den Anfang nicht schlecht.
    Während der Chief Irgendwas Manager telefonierte, ging Kuttler noch einmal durch die Suite. Er hätte nicht zu sagen gewusst, in welchem Stil der Salon und das Schlafzimmer eingerichtet waren. Vielleicht müsste man dafür erst eigens einen Namen erfinden, wie wäre es mit New Tokio Empire? Auf dem Schreibtisch im Salon stand ein Laptop, der nicht eingeschaltet war, auf einem Beistelltisch lag ein Aktenkoffer. Das alles würde man sich morgen näher ansehen, wenn die Spurensicherung hier gewesen war... Moment. Er versuchte sich zu erinnern, wie es im Gerichtssaal ausgesehen hatte: Morny saß links von ihm, und neben Morny saß Eisholm, wenn er nicht gerade vor dem Richtertisch hin und her tigerte, und dieser Aktenkoffer - stand er nicht neben Eisholms Platz? Er war sich so sicher, wie man sich aller Dinge sicher sein kann, die man vor seinem inneren Auge sieht - nämlich gar nicht, denn das innere Auge sieht das Tatsächliche so gut wie das Eingebildete. Aber warum soll Eisholm keinen Aktenkoffer bei sich gehabt haben? Niemals wäre er ohne die Akten in die Verhandlung gegangen. Wieso also lag dieses verdammte Ding jetzt hier und nicht irgendwo hinterm Hauptbahnhof, zwischen Schotter und Bahnsteigkante?

    Morgen, dachte er dann. Wenn die Spurensicherung da war. Was fiel ihm sonst noch auf?
    Kaum persönliche Dinge. Ein schmales Buch auf dem Nachttisch. Gedichte von Rilke? Aus dem Dunkel längst vergessener Deutschstunden tauchte eine Zeile auf: Wir kannten nicht sein unerhörtes Haupt... Kuttler schüttelte sich, denn plötzlich sah er wieder Eisholm vor sich, mit lauernd schräg gestelltem Kopf, als wolle er gerade zum nächsten Schnabelhieb ausholen.
    Er warf noch einen Blick in

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