Beifang
es den Herrn Anwalt vor den Zug wirft - was soll sich unsereins nur für einen Reim darauf machen?«
»Früher schrieben Sie doch Prosa?«, fragte der Neuankömmling zurück. Ein Justizbeamter erschien und schloss die Türen zum Zuhörerraum auf, der Besucherstrom zog auch die drei Männer mit sich. Walleter fand seinen Platz vorne, ebenso Frenzel am Pressetisch. Berndorf setzte sich nach weiter hinten.
Staatsanwalt Desarts betrat den Saal, gleich darauf Kugelmann und der weißhaarige Herr, von dem man wusste, dass er der Vater der Toten war. Uniformierte brachten den Hauptmann Ekkehard Morny in den Saal und zu seinem Platz; man hatte ihm Handschellen angelegt, die die Beamten ihm erst im Saal wieder abnahmen. Morny setzte sich, die Handgelenke massierend, ein großer, breitschultriger Mann, der sich sehr vorsichtig bewegte - als müsse er darauf achten, dass nicht schon wieder etwas kaputtgeht.
Stille senkte sich über den Saal, und es schien, als ziehe der leere Platz neben Morny - also dort, wo Eisholm während der beiden ersten Verhandlungstage gesessen hatte - alle Aufmerksamkeit auf sich.
Noch einmal öffnete sich die Tür, eine noch junge Frau mit wehenden langen schwarzen Haaren und einem wehenden schwarzen Talar trat ein, sah sich kurz um und setzte sich - eine schwere Aktentasche auf den Tisch wuchtend - auf den verlassenen Platz neben dem Angeklagten, den sie mit Handschlag
begrüßte. Der Saal blieb ruhig, aber die Stimmung war auf ungreifbare Weise eine andere geworden.
Das Gericht mit dem Vorsitzenden Richter Veesendonk betrat den Saal, es folgte das Ritual des allgemeinen Aufstehens. Veesendonk nahm Platz und wünschte einen guten Morgen, das heißt, er wollte es, aber es gelang ihm erst im zweiten Anlauf, seine Stimme hatte versagt, und er musste sich erst räuspern. Sein schmales und schmallippiges Gesicht wirkte scharfkantig und angespannt, als er einen Blick in den Saal warf.
Was gefiel ihm nicht? Die Falte auf seiner Stirn hatte sich vertieft. Doch dann wandte er sich der Protokollführerin zu und diktierte ihr den Vermerk, der Angeklagte sei an diesem Morgen erschienen mit der Anwältin... - Veesendonk warf einen Blick auf die Notizen, die er sich gemacht hatte - mit der Anwältin Dr. Elaine Drautz, Kanzlei Eisholm und Partner, München. »Der bisherige Verteidiger des Angeklagten, Rechtsanwalt Jürgen Eisholm, ist gestern Abend verstorben.« Diesmal musste er sich nicht mehr räuspern, und seine Stimme klang ruhig und sachlich. Fragend blickte er zu der Anwältin, worauf sie aufstand und zu ihm ging, um eine Vollmacht vorzulegen.
»Wie vertraut sind Sie mit dem Verfahren?«, fragte Veesendonk.
»Ich bin von Herrn Eisholm an der Vorbereitung des Verfahrens beteiligt worden«, antwortete die Anwältin. »In die neueste Entwicklung muss ich mich aber erst einarbeiten.«
»Reichen drei Wochen?«
Die Anwältin blickte zu Morny. Der zuckte mit den Achseln. Sie nickte, Veesendonk besprach sich kurz mit den Beisitzern und den beiden Schöffen, einen Kalender in der Hand.
»Die Verhandlung wird unterbrochen«, erklärte er dann, »und fortgesetzt am Dienstag, dem vierten März.« Er blickte zu Staatsanwalt Desarts, dann zu der Anwältin. »Wir werden noch einmal von vorne beginnen müssen, also auch die Verlesung der Anklageschrift wiederholen und ebenso die bisher gehörten Zeugen erneut laden...«
Im Besprechungs- und Wartezimmer der Anwälte, das sonst nach vergilbten Akten und verstaubten Talaren roch, hing für diesmal der Duft eines Parfums - eines zudem, das vermutlich nicht im Drogeriemarkt gekauft worden war. Freundlicher machte das die Atmosphäre nicht.
»Zeit habe ich überhaupt nicht«, erklärte Dr. Elaine Drautz und setzte sich auf den nächstbesten Tisch, schlug das eine Bein über das andere und kreuzte die Arme vor der Brust. »Es kommt gleich ein Fernsehteam... also?«
»Ich habe einen Auftrag Eisholms«, sagte Berndorf. »Den Auftrag, den Partner der Morny zu finden. Sollten wir uns in irgendeiner Weise abstimmen?«
»Ach Gott!« Ärgerlich strich sich die Anwältin eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Alles, was recht ist, aber Jürgen ist manchmal ein sentimentaler alter Esel gewesen. Wir haben in München sehr professionelle, sehr toughe Ermittler, keine Umstandskrämer, und ich hatte ihm von Anfang an einen davon vorgeschlagen. Aber er wollte Sie.« Ihre Zähne lächelten ihn an. Es waren sehr weiße und sehr wohlgeordnete Zähne. »Tun Sie also, was Sie für
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