Beifang
das Bad. Nassrasierer, elektrische Zahnbürste, ein Reisenecessaire, eine Schachtel mit Tabletten, Kuttler sah genauer hin: ein Antidepressivum... Er unterdrückte das Lächeln, das ihn anfliegen wollte. Wenn er das an diesem Nachmittag gewusst hätte, als der größte der Großen Deutschen Strafverteidiger ihn in die Mangel genommen hatte!
Der Manager hatte seine Anweisung durchgegeben und teilte mit, die Mitarbeiterin warte unten in der Rezeption. »Ich nehme an, Sie müssen die Suite versiegeln?« Kuttler nickte.
Sie verließen die Suite, und Kuttler klebte das Siegelband mit dem amtlichen Wappen über das Schloss der Zimmertür und weiter bis zum Rahmen. Dann fuhren sie zur Rezeption hinunter. Es war kurz vor Mitternacht, von sehr fern hörte man einen Jazzpianisten klimpern, vielleicht war auch nur eine CD aufgelegt, eine Gruppe angeheiterter Japaner lief gerade ein, Geschäftsleute offenbar, von zwei rotgesichtigen deutschen Bärenführern begleitet. In einem Ledersessel saß ein einzelner Mann und las in einer Zeitung, als gebe es dazu keine andere Tageszeit.
Eine stattliche, dunkelblau kostümierte Blondine kam an den Tresen, schenkte Kuttler ein Lächeln, das von keinerlei Müdigkeit getrübt schien, und erklärte, Rechtsanwalt Knut Eisholm sei am Montag Nachmittag eingetroffen, vorgestern also, gegen siebzehn Uhr. Er sei allein gewesen und habe ihres Wissens auch keinen Besuch empfangen. »Das Essen hat er sich vom Zimmerservice bringen lassen.« Sie zeigte einen Computerausdruck vor: »Hier. Gemüsesuppe, Beefsteak Tatar, eine Flasche Chambertin. Und am Montag...«
Kuttler dankte und ließ sich den Ausdruck geben. Chambertin! Antidepressiva! Warum eigentlich kein Viagra?
»Heute Abend haben Sie ihn nicht gesehen?«
»Nein, aber...« Wieder lächelte sie, diesmal mit etwas Ratlosigkeit untermischt. »Ich weiß nicht, ob das wichtig für Sie ist. Ein Taxifahrer hat einen Aktenkoffer gebracht, der in die Suite von Herrn Eisholm gebracht werden sollte. Das war gegen neunzehn Uhr, glaube ich. Unser Mitarbeiter, der das Köfferchen nach oben gebracht hat, ist aber schon gegangen.« Kuttler nickte und zeigte auf das Telefon.
»Die Taxizentrale?«, fragte die Blondine, wählte und reichte Kuttler den Hörer. Er gab seine Bitte durch: Der Fahrer, der einen Aktenkoffer ins »Vier Jahreszeiten« gebracht habe, solle sich bei ihm, Kuttler, im Neuen Bau melden. Dann reichte er den Hörer zurück, sagte artig danke und wurde mit einem wiederum ungetrübten Lächeln entlassen. Der Manager freilich wollte ihn zum Ausgang begleiten, aber das wehrte er ab.
Der Mann im Ledersessel hatte die Zeitung weggelegt. Er stand auf, und als Kuttler auf ihn zukam, tauschten die beiden Männer keinen Händedruck, sondern schlugen mit der erhobenen rechten Hand die des anderen ab.
»Ist ja mal wieder spät geworden«, sagte Berndorf.
»Sie wissen ja, warum«, antwortete Kuttler. »Aber warum wissen Sie es?«
»Was soll schon sein, wenn das Dezernat Römisch Eins abhebt! Aber diesen Anruf von mir - haben Sie weitergegeben, dass ich das war?«
»Nein.«
»Danke.« Dann, nach einer Pause: »Sie werden es aber müssen.«
»Ah ja«, machte Kuttler. »Sie bleiben also länger... Da wird aber Freude aufkommen im Neuen Bau.« Dann warf er einen prüfenden Blick auf Berndorf. »Sie werden nicht gerade hier abgestiegen sein, und Sie sind auch nicht mit dem Wagen von Berlin hierhergefahren...«
Ob er ihn mitnehmen könne? Berndorf nahm Mantel und Hut
von einem zweiten Sessel auf und bat, in der Stadtmitte abgesetzt zu werden.
Die Drehtür entließ sie nach draußen. Der Nebel war inzwischen so dicht, dass der Dienstwagen der Kriminalpolizei, den Kuttler im Parkverbot abgestellt hatte, nur mehr schemenhaft zu erkennen war. Sie stiegen ein, Kuttler startete.
»Es ist wegen dem Fall Morny, nicht wahr?«, fragte Kuttler. »Eisholm hat Sie zugezogen.«
Berndorf machte ein Geräusch, das als Zustimmung durchgehen konnte.
»Und jetzt?«
»Auftrag ist Auftrag«, antwortete Berndorf.
»Was ist mit Eisholms Tod?«
»Davon lasse ich die Finger.« Berndorf machte eine Pause. »Vorausgesetzt, Sie weisen mir nach, dass Eisholms Tod nichts mit meinem Auftrag zu tun hat.«
»Das hätte ich mir denken können«, sagte Kuttler. Vor ihnen tauchte ein Fort der Stadtbefestigung aus dem 19. Jahrhundert auf, und im Nebel erschienen seine Ausmaße gewaltig, ja bedrohlich, als sei es der eigentliche Sinn dieser Architektur gewesen, ihre
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