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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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richtig halten. Und wenn Sie den Großen Unbekannten Beischläfer wirklich und wundersamerweise ausfindig gemacht haben, können Sie sich ja wieder bei mir melden.«
    Berndorf nickte, drehte sich um und ging.
    »Ach, noch etwas!«
    Berndorf blieb stehen. Aus ihrer Handtasche hatte die Doktorin Drautz einen kleinen Handspiegel herausgezogen und war dabei, ihr Make-up nachzuprüfen. »Ich habe in der Haftanstalt für heute Nachmittag ein weiteres Gespräch mit Morny angemeldet. Wenn Sie Fragen an ihn haben, können Sie mich gerne begleiten, Termin ist um halb drei... Was haben Sie?«
    Sie ließ den Spiegel sinken und betrachtete Berndorf, der zwei Schritte zur Seite getreten war.
    »Machen Sie doch weiter«, sagte er. »Ich will nur sehen, wie das aussieht... Und wenn Sie fertig sind, schauen Sie bitte noch mal in den Spiegel, so, als ob Sie darin jemanden beobachten wollten, meinetwegen den Aktenschrank hinter Ihnen.«

    »Und sonst geht es Ihnen gut?« Gelangweilt setzte sie die Überprüfung fort, kramte einen Lippenstift hervor und zog die kirschroten Lippen nach. »Zufrieden?«
    »Danke«, sagte Berndorf. »Wenn Sie jetzt nach dem Aktenschrank schauen wollten?«
    »Bitte sehr«, antwortete Dr. Drautz, hob den Spiegel wieder hoch und versuchte damit den Schrank zu erfassen. »Das ist das Angenehme an alten Männern: Sie sind so einfach zufriedenzustellen.« Sie drehte den Spiegel ein wenig. »Da haben wir ihn ja. Rollladen, späte fünfziger Jahre, sehr authentisch. Verschluss vermutlich defekt... Sollen wir mal nachschauen, welche verschollenen Geheimnisse vergesslicher Anwälte dort schlummern?« Sie ließ den Spiegel sinken. »Haben Sie sich genug ergötzt?«
    »Danke, ja«, antwortete Berndorf. »Danke auch für die Einladung zum Gespräch mit Morny. Ich komme gerne.«
    »Na schön. Und was werden Sie bis dahin tun?«
    Berndorf zuckte mit den Schultern und wandte sich zur Tür. »Den Hauptbahnhof angucken. Einen Fotografen besuchen. Zeitung lesen. Vielleicht haben sie in der Stadtbibliothek die ›Stuttgarter‹ archiviert.«
    Dr. Drautz hob den Kopf und betrachtete ihn aus schmalen Augen. »Jetzt verstehe ich aber wirklich nur Bahnhof.«
    Berndorf hatte schon die Klinke in der Hand. Nun drehte er sich noch einmal um. »Ich dachte«, sagte er, »Sie hätten die Akten gelesen?«
     
     
     
    Der Herr mit den weißen, nach vorne gekämmten Haaren saß allein, ein wenig abseits, ein Glas Tee vor sich, und schaute immer wieder zur Bahnhofsuhr. Der Regionalzug nach Memmingen fuhr um elf Uhr fünfzehn ab, bis dahin war es noch gut eine halbe Stunde. Der Herr hieß Siegfried Ehret und war pensionierter Schullehrer.
    Bei seinem Rundgang durch den Hauptbahnhof hätte ihn Berndorf fast übersehen. Nicht, dass er gezielt nach ihm gesucht
hätte. Zum Hauptbahnhof war er aus einer fast kindlichen Empfindung heraus gegangen: Mal sehen, ob du jemanden siehst, den du im Gerichtssaal gesehen hast... Dabei lag es nahe, dass ein pensionierter Lehrer für die Fahrt von Memmingen nach Ulm nicht den Wagen nimmt, sondern die Bahn, jedenfalls dann, wenn der Lehrer es vielleicht am Herzen hat - was kein Wunder wäre - und nach Ulm fahren muss, um dort anzuhören, wie einer die eigene Tochter totgeschlagen hat.
    Es gibt leichtere Gespräche, dachte Berndorf, aber mehr Zeit darfst du nicht verlieren. Er ging zu dem Tisch des Weißhaarigen, verbeugte sich und fragte, ob er sich zu ihm setzen dürfe. Ehret nickte, und Berndorf nahm Platz. Er griff nach der Speisekarte, ließ sie dann aber wieder sinken.
    »Ich möchte Sie nicht stören, wenn Sie lieber allein warten wollen«, fuhr er fort. »Ich war vorhin in der Verhandlung, von der auch Sie kommen... deswegen könnte ich Sie gut verstehen.«
    »Sie stören mich nicht«, antwortete Ehret. »Ich … wir sind oft genug allein, meine Frau und ich, seit... seit das passiert ist.« Er sah Berndorf an. »Es ist ganz selten, dass uns jemand darauf anspricht, so wie Sie.«
    »Sie sprechen von sich und Ihrer Frau - aber Ihre Frau begleitet Sie nicht? Nicht hierher?«
    »Nein«, antwortete Ehret. »Sie erträgt es nicht.«
    Die Bedienung kam, und Berndorf bestellte einen Tee.
    »Waren Sie heute zum ersten Mal in der Verhandlung?«, fragte Ehret, als die Bedienung wieder gegangen war. »Ich glaube nicht, dass ich Sie vorher schon einmal gesehen habe.«
    »Es hat sich heute so ergeben.«
    Wieder sah ihn Ehret an. »Sie weichen mir aus, nicht wahr? Die Beamten, mit denen ich wegen des Todes meiner

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