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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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Tochter gesprochen habe, die waren alle jünger als Sie und ich. Trotzdem glaube ich, dass Sie ebenfalls Polizist sind. Irgendwie wirken Sie so... Wollen Sie vielleicht wissen, ob ich es war, der diesen Anwalt vor den Zug gestoßen hat?«
    »Und?«, fragte Berndorf zurück. »Waren Sie’s?«

    Ehret verzog den Mund. »Was hätte mir das bringen sollen?«
    »Sie haben recht«, meinte Berndorf. »Übrigens war ich in einem früheren Leben tatsächlich mal Polizist. Schwamm drüber.« Er zog seine Brieftasche heraus, entnahm ihr eine Visitenkarte und reichte sie Ehret. Der nahm sie, etwas zögernd, und las halblaut vor: »Hans Berndorf, Berlin, Ermittlungen... Und da sind Sie eigens nach Ulm gefahren? Um was zu ermitteln?«
    »Was sich ermitteln lässt«, antwortete Berndorf. »Meistens sind es nur die kleinen Dinge. Wenn Sie...« Er unterbrach sich, denn er hatte sagen wollen: »Wenn Sie Glück haben...« Aber mit Glück durfte er diesem Mann nicht kommen.
    »Ja?«, fragte Ehret.
    »Stellen Sie sich einen Teppich vor, dicht und glatt gewebt. Nur irgendwo steht ein kleines Ende heraus, ein Fitzelchen Wahrheit, das niemand sieht. Aber wenn gegen alle Wahrscheinlichkeit doch einer kommt und daran zupft, dann kann es geschehen, dass sich das ganze Lügengewebe aufriffelt...«
    Er brach ab, denn die Bedienung stellte das Tablett mit dem heißen Wasser und dem Teebeutel vor ihm ab. Berndorf dankte und hängte den Beutel ins Wasser.
    Ehret sah ihm zu.
    »Dieses Fitzelchen - haben Sie es inzwischen gefunden?«
    »Weiß nicht«, antwortete Berndorf. »Woher hatte Ihre Tochter diese Goldkette mit dem Ring? Das war ja kein gewöhnlicher Schmuck.«
    Ehret runzelte die Stirn. »Warum fragen Sie danach? Und, vor allem, warum sollte ich Ihnen antworten?«
    »Ist denn eine Erinnerung damit verbunden, die Ihnen nicht guttut?«
    Ehret schüttelte den Kopf. »Nein. Es ist nur eine der Lügen von diesem Mann. Gestern hat er behauptet - oder vielmehr, der Polizist, der ihn vernommen hatte, der hat erklärt, die Kette sei angeblich ein Erbstück. Das ist Unsinn. Wir hatten niemand in der Familie, der ihr so etwas hätte vererben können...«
    »Und von Seiten der Familie Morny?«
    »Ach!«, wehrte Ehret ab. »Die Schwiegereltern unserer Tochter
waren einfache Leute... Fiona hat die Kette von einer Reise nach Ägypten mitgebracht. Sie war Kunsthistorikerin, hat in einem sehr anspruchsvollen Reisebüro gearbeitet, für das sie viele Fahrten zu kunstgeschichtlich bedeutenden Orten geplant und diese Fahrten dann auch geführt hat, Italien, Griechenland... und nun!« Er trank einen Schluck Tee. »Und diese Kette, dass wissen wir von ihr selbst, hat sie ganz günstig bei einem Händler in einem Basar von Kairo erstanden. Zu einem Spottpreis...« Wieder warf er einen Blick auf die Bahnhofsuhr. »Aber jetzt muss ich wirklich auf meinen Zug.« Er zog sein Portemonnaie und winkte damit der Bedienung.
    »Wissen Sie noch, wann das war - diese Reise nach Kairo?«
    »Das muss vor zwei Jahren gewesen sein«, sagte Ehret und folgte der Bedienung, die ihn nicht sah oder nicht sehen wollte, mit den Augen. »Das war, bevor das Reisebüro in Konkurs ging …«
    »Wenn Sie es eilig haben, übernehme ich gerne Ihre Rechnung«, sagte Berndorf.
    »Das kann ich nicht annehmen«, widersprach Ehret und sah wieder auf die Uhr. Diesmal hatte die Bedienung ein Einsehen und kam, auch Berndorf bezahlte. Beide Männer standen auf, und Berndorf half Ehret in den Mantel.
    »Ihre Tochter hat danach nicht mehr gearbeitet?«, fragte er. »Nach dem Konkurs, meine ich.«
    »Wo denken Sie hin!«, kam die Antwort. »Sie hat viele Aufträge übernommen, vor allem vom städtischen Verkehrsamt, sie hat Kongresse betreut und ist auch für große Unternehmen tätig gewesen... Fiona war sehr tüchtig, müssen Sie wissen, man hat sich geradezu um sie gerissen!« Er setzte seinen Hut auf, nickte Berndorf zu und ging.
     
     
     
    Dr. Elaine Drautz, den schwarzseidenen Talar über dem Arm, stand, sorgfältig ausgeleuchtet, vor der jetzt geschlossenen Tür zum großen Sitzungssaal. Neben ihr, etwas über Schulterhöhe, befand sich der Aushang mit der Tagesordnung. Die Miene, mit
der sie in die Kamera blickte, war ernst und entschlossen. »Noch ist es viel zu früh, zutreffend über das Lebenswerk von Jürgen Eisholm zu sprechen«, sagte sie in das Mikrofon, das ihr der Mann vom Fernsehen hinstreckte. »Seine Mandanten freilich - die Menschen also, die er verteidigt hat - wissen, was sie ihm

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