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Beifang

Titel: Beifang Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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wurde...«
    »Ganz sicher wurde er das«, widersprach die Anwältin, »und wenn Sie sich nur ein bisschen Mühe geben würden, könnten Sie den Schuldigen rasch ermitteln. Dazu müssten Sie keineswegs alle Reisenden aufstöbern, die gestern den Ulmer Hauptbahnhof frequentiert haben, und nicht einmal alle Zuhörer der gestrigen Gerichtsverhandlung, durchaus nicht! Sie müssten nur den einen einzigen Mann finden, mit dem die Morny geschlafen hat, und wenn Sie ihn haben, dann fragen Sie ihn, wo er gestern Abend gewesen ist.«
    »Wir haben bereits in der Vergangenheit...«, sagte Dorpat und wurde erneut unterbrochen.
    »Sie haben diesen Mann bereits in der Vergangenheit nicht gefunden, ganz recht, das hat sich mir aus den Akten bereits erschlossen!«
    Die Anwältin ging zu ihrer Aktentasche, öffnete sie, holte einen Straßenatlas heraus und blätterte suchend darin.
    »Wie viele Kilometer waren es, die die Morny am Tag vor ihrem Tod noch gefahren ist?«, fragte sie, den Kopf zu Kuttler gewandt. »Sie haben das doch ermittelt.«
    »Einhundertvierundachtzig«, kam die Antwort.
    »Einhundertvierundachtzig, na also!« Offenbar hatte sie gefunden, was sie gesucht hatte: eine Übersichtskarte für Süddeutschland. Sie legte den aufgeschlagenen Atlas auf den Tisch
und zog mit einem tiefrot lackierten Fingernagel einen imaginären, großzügig bemessenen Kreis um Ulm.
    »Lindau? Bodensee? Gerade ein paar Kilometer zu weit. Augsburg? Vielleicht. Ellwangen?«
    Sie lachte. Das Lachen klang etwas ordinär, wie Kuttler fand.
    »Wer fährt schon nach Ellwangen, um in ein fremdes Bett zu steigen! Und was Augsburg angeht - wer dort ein Verhältnis hat, der hat es in München... Was bleibt?«
    Der tiefrote Fingernagel pickte auf Stuttgart. »Hier. Fiona Morny hat ihren Liebhaber in Stuttgart getroffen, und weil die Stuttgarter rechtschaffene und pflichtbewusste Leute sind, vor allem, was den Umgang ihrer Nachbarn betrifft, so muss doch mit einiger Sorgfalt und ein bisschen Geduld herauszufinden sein, wo die Morny wen beglückt hat...«
    »Wir haben sehr wohl in Stuttgart...«, sagte Dorpat und holte Atem.
    »Ach?«, fragte die Anwältin, »Sie haben tatsächlich und wahrhaftig in Stuttgart recherchiert? Wen haben Sie denn befragt? Die Empfangschefs der Hotels?« Sie lachte. »Die werden fürs Weggucken besser bezahlt als fürs Hinsehen!«
    »Unsere Stuttgarter Kollegen haben uns versichert«, sagte Dorpat endlich mit klarer Stimme, »dass Frau Morny dort nirgendwo abgestiegen ist.«
    Die Anwältin schüttelte den Kopf. »Als ob irgendjemand noch wegen eines Liebesabenteuers den Meldezettel ausfüllen müsste! Lächerlich... im Übrigen: Wie immer diese Fragerei durchgeführt worden ist - gebracht hat sie nichts. Warum geben Sie eigentlich keinen Fahndungsaufruf heraus, samt Foto der Morny?«
    »Das müssten wir...«, setzte Dorpat an, aber die Anwältin unterbrach ihn: »Natürlich müssten Sie das mit der Staatsanwaltschaft erörtern, aber dann tun Sie es doch. Tun Sie um Gottes willen irgendetwas!«
    Sie nickte den beiden Beamten zu - es war ein sehr kühles, abschließendes Nicken - und griff nach ihrer Aktentasche. Die
Tasche hatte einen Schulterriemen und hing schwer an ihr herunter. Dorpat eilte zur Tür, um sie ihr aufzuhalten.
    »Seit wann«, fragte Kuttler in ihrem Rücken, »nahm Herr Eisholm Antidepressiva?«
    Er wappnete sich auf einen neuerlichen Ausbruch, aber die Anwältin blieb einfach stehen.
    »Wie war das?«, fragte sie und drehte sich um. Plötzlich klang ihre Stimme müde. »Ach ja. Die Tabletten! Gewiss hatte er Depressionen. Immer wieder mal. Überarbeitung. Ein langer, sehr unerquicklicher Scheidungsprozess.« Sie zuckte mit den Schultern. »Aber gut möglich, dass es schon immer in ihm war, wer weiß das schon. Meistens hatte er es im Griff. Er wusste, wann er seine Tabletten nehmen musste … Und als wir gestern noch miteinander telefoniert haben, da sprühte er vor guter Laune. Er war sicher, den Prozess zu gewinnen, das Jagdfieber hatte ihn gepackt, er selbst hat das so genannt, und so etwas wirkte bei ihm stärker als alles andere, stärker auch als die Tabletten... Er hat sich nicht selbst umgebracht, da dürfen Sie Gift drauf nehmen.«
    Sie schob den Schulterriemen ihrer Tasche hoch, nickte noch einmal und ging. Die beiden Beamten blieben im Anwaltszimmer zurück, als hätten sie es sich zum Büro genommen.
    »Was für ein Weib!«, sagte Dorpat andächtig. Dann fiel sein Blick auf Kuttler, und die

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