Beifang
geschlüpft ist, stand vor einem der Anwalt Eisholm, wie ihn die Klatschpresse kennt: bissig, aggressiv, zynisch, manchmal auch brillant, gewiss doch. Aber sobald er den Talar abgelegt hat, war auch diese Maske verschwunden - als sei sie ein fester Bestandteil seiner Anwaltstracht.«
»Und wer kam dann zum Vorschein?«
Veesendonk zuckte die Achseln. »Ein schwieriger, ein unberechenbarer Mensch... Aber Sie haben gefragt, ob er erschöpft wirkte.« Er überlegte. »Ich hatte nicht den Eindruck. Allerdings ist meine Wahrnehmung vielleicht dadurch beeinträchtigt, dass ich von seinem Besuch irritiert war.«
»War sein Vorbringen ungewöhnlich?«, wollte Dorpat wissen.
»Jein. Aber ich hatte eigentlich etwas anderes erwartet«, antwortete der Richter. »Der Stand des Verfahrens hätte es...« - er hob tastend die Hand, als suche er nach einer sehr vorsichtigen, diplomatischen Formulierung - »hätte es nahe gelegt, dass sich Eisholm danach erkundigt, ob sich das Gericht statt einer Verurteilung wegen Mordes auch eine solche wegen Totschlags vorstellen könne oder vielleicht sogar nur wegen Totschlags im Affekt. Als Gegenleistung für ein Geständnis, versteht sich.«
Dorpat nickte. »Aber das hat er nicht angeboten?«
»Nein«, antwortete Veesendonk. »Hat er nicht. Unser Gespräch hat auch nur ein paar Minuten gedauert, dann ging er wieder.«
»Wissen Sie die ungefähre Uhrzeit?«
Veesendonk hob abwägend die Hand. »Er kam kurz nach Viertel sieben. Als er ging, wird es gegen halb sieben gewesen sein.«
»Sagte er etwas davon, dass ein Taxi auf ihn warte?«, wollte Kuttler wissen.
Veesendonk runzelte die Stirn. »Nein... Ich hatte eher den Eindruck, er wollte noch in die Stadt, irgendwo einen Drink nehmen.«
»Hatte er denn seinen Aktenkoffer bei sich?«
»Sie fragen Sachen!«, antwortete Veesendonk. »Hatte er? Ich bin mir nicht sicher... doch! Er hatte ihn während des Gesprächs neben seinem Stuhl abgestellt und nahm ihn dann wieder auf. Der Koffer schien ziemlich schwer zu sein.«
»Sie haben ihn nicht begleitet?«
Veesendonk lächelte. »Die Frage liegt auf der Hand.« Das Lächeln verschwand. »Nein, ich habe Anwalt Eisholm nicht begleitet,
sondern bin noch in meinem Büro geblieben und habe meine Notizen vom gestrigen Verhandlungstag durchgesehen. Außerdem wollte ich Staatsanwalt Desarts von der Anfrage Eisholms in Kenntnis setzen, habe ihn aber erst kurz nach zwanzig Uhr bei sich zuhause erreicht.« Er blickte zu Dorpat, und dann wieder zurück zu Kuttler. »Nun kenne ich den genauen Todeszeitpunkt nicht...«
»Der Güterzug, von dem Eisholm erfasst wurde, hat den Hauptbahnhof um neunzehn Uhr achtzehn passiert«, antwortete Kuttler. »Sie haben Herrn Desarts von Ihrem Büro aus angerufen?«
»Ja, doch.«
Dorpat bewegte unmerklich den Kopf, aber wenn es ein Zeichen sein sollte, so wurde es von Kuttler ignoriert. »Und warum haben Sie ihn von Eisholms Anfrage unterrichtet?«
Veesendonk sah ihn scharf an. »Darüber bin ich Ihnen gegenüber zwar kaum zu einer Auskunft verpflichtet - aber bitte! Ich habe Desarts verständigt, damit er versteht, warum ich das Tempo in den kommenden Verhandlungstagen etwas drosseln werde. Wenn ein Anwalt einen solchen Wunsch äußert, dann kann man dem ja ein Stück weit entgegenkommen.«
Donnerstag, 14. Februar, Nachmittag
Fiona, aber sicher doch!«, sagte der Fotograf, den Berndorf in der Bildredaktion des Tagblatts aufgesucht hatte, stand auf und ging zu einem zweiten Computer, der auf seinem Arbeitstisch aufgebaut war. Er schaltete ihn ein und wartete, bis sich das Programm aufgebaut hatte. Der Fotograf war ein großer, schlanker Mann mit beginnender Stirnglatze und einem freundlichen, ansteckenden Lächeln, das für ihn vermutlich noch sehr viel nützlicher war als sein Presseausweis. »Ich habe damals, bei diesem Silvesterball, noch ein paar andere Aufnahmen von ihr gemacht, weil...« Er sprach nicht zu Ende, sondern sah Berndorf an und lächelte schon wieder und zeigte auf die Fotografie Fionas, die dieser mitgebracht hatte.
Klar, dachte Berndorf. Fiona war nicht nur einen Schnappschuss wert. »Sie kannten die Mornys?«
»Eigentlich nur ihn«, antwortete der Fotograf, rief einen Ordner auf und klickte eine einzelne Datei an. »Ich bin mal einen Halbmarathon mit ihm gelaufen.« Auf dem Bildschirm erschienen einige Bildstreifen, angeordnet wie Kontaktabzüge der vordigitalen Zeit. »Hier.« Er lud Berndorf ein, sich vor den Monitor zu setzen. »Als diese
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