Beim ersten Om wird alles anders
Surfer verbracht, als er zugeben wollte.
Dann nähert sich der Höhepunkt der Stunde, der Schulterstand. Man liegt auf dem Rücken und hebt die Beine so weit parallel an, bis sich auch die Hüfte und der untere Rücken in die Luft bewegen und man tatsächlich nur auf den Schultern steht. Die Hände stützen dabei den Körper in Nierennähe. Das Kinn liegt direkt auf dem Brustbein, was ein seltsames Gefühl ist. Durch diese Haltung, darauf vergisst kein Yoga-Lehrer hinzuweisen, werden die „inneren Organe“massiert.
Danach kommt nur noch der Fisch, und dann ist auch schon alles überstanden, es folgt der für viele angenehmste Teil der Stunde, die Endentspannung. Dazu
werden im Yoga-Saal die Vorhänge zugezogen, das Licht wird gedimmt, und sanfte Musik ertönt.Wir hüllen uns in Decken und legen uns auf den Rücken, die Beine, auch die der Männern, sind dabei dezent geöffnet. Die Arme liegen neben dem Körper. Mit sanfter Stimme erklärt Ivana: „Eeeentspannung bedeutet aaaaalles zulassen. Knöchel entspannen, Waden entspannen, Schienbeine entspannen, Knie entspannen, Oberschenkel entspannen, Schulterblätter, Rückenmuskeln, aaaaalles eeeentspannt.“
Was noch alles entspannt wird, bekommt manch einer schon nicht mehr mit, denn bald ertönt hier und da ein sanftes Schnarchen - Entspannung pur. Nach ein paar Minuten absoluter Ruhe holt uns Ivana wieder zurück in die Gegenwart, Körperteil für Körperteil wird aufgerufen und wieder aufgeweckt. Schließlich werden wir aufgefordert, bewusster und tiefer zu atmen und uns kurz, wie ein Baby zusammengekuschelt, auf die rechte Seite zu legen. Dann setzen wir uns auf, und Ivana singt dreimal Om vor und dreimal Shanti, und alle singen mit. Schließlich beugen wir uns nach vorne, seufzen und danken uns allen wechselseitig fürs Kommen.
Unter begeistertem Klatschen wird die Stunde beendet. Im Anschluss geht es wieder ums Geschäft: Wir werden aufgefordert, uns zum ermäßigten Preis eine Zehnerkarte oder auch Yoga-Bücher zu kaufen.
Die in der Kursankündigung versprochene gute Laune hat offenbar die meisten Teilnehmer erfasst. Sichtbar beschwingt und entspannt eilen alle nach draußen. Ob es wie angekündigt vereinzelt zu Fällen der Selbsterkenntnis kam, bleibt offen. Falls die verbesserte Sauerstoffversorgung des Körpers zu spontaner Heilung von Schmerzen geführt hat, geschah dies im Geheimen, offenkundige Fälle
einer Spontanheilung ergaben sich in dieser Stunde nicht. Eher im Gegenteil, denn je weiter die Stunde voranschritt, desto mehr war sie von schmerzhaft-erschöpftem Stöhnen und von Husten und Niesen geprägt und nicht von plötzlicher Genesung vorher Gebrechlicher.
Eins aber steht fest.Yoga hat wieder neue Fans gewonnen. Vor der Kasse bildet sich sofort eine lange Schlange. Kaum ein Kursteilnehmer verlässt das Loft, ohne zuvor ein Yoga-Produkt gekauft oder eine Zehnerkarte erworben zu haben.
Und Jens? Er hat kaum geschwitzt, ist gut bei Atem und ansprechbar. Für eine ausführliche Beschreibung seiner Befindlichkeit hat er aber keine Zeit. Seine Ehefrau, die ihn etwas besorgt zu den Yogis hat ziehen lassen, will wohl nicht, dass er sich länger als nötig dort aufhält. Immerhin, so teilt er im Gehen noch mit, hat es ihm gut gefallen und er will bald einmal eine reguläre Stunde besuchen. Seitdem sind Monate vergangen und er hat nie mehr eine Yogamatte betreten.
Alles fing mit Kurti an
Für Yogis gehört es zum guten Ton, dass sie Vegetarier sind und am besten nicht nur fleischlos, sondern vegan, also unter weiterem Verzicht auf Eier, Milch und Honig, leben. Diese Entwicklung nehme ich zur Kenntnis, aber über den teilweise zu Beginn der Yoga-Stunden durch mitunter etwas penetrant vorgetragene Belehrungen der Lehrer zur Schau gestellten missionarischen Eifer lächle ich insgeheim. Denn Vegetarier bin ich wohl schon länger als die meisten von ihnen, ohne dass ich großes Aufhebens davon gemacht oder je irgendeinen Versuch unternommen hätte, Mitmenschen zu meiner Überzeugung zu bekehren. Im Gegenteil, ich habe viele Bekannte und Freunde, die leidenschaftlich Fleisch essen, und andere
Vegetarier kommen mir in ihrem oft typischen Bekennerund Bekehrungsanspruch immer etwas seltsam vor.
Aus ähnlichen Gründen lese ich zwar mit Sympathie, aber auch mit einem gewissen Unverständnis für ihre radikalen Thesen, nach denen man als bewusst lebender Mensch Vegetarier sein MUSS, Bücher wie Jonathan Safran Foers Tiere essen oder das schmale Bändchen
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