Beim ersten Om wird alles anders
wie man die Hüften, sondern auch, wie man den Geist öffnet. Ein Leidtragender dieser Entwicklung ist in meinem Fall mein Assistent Jens. Von Haus aus ein cooler Surfer auf der Münchner Stadtwelle und Snowboardfahrer, erfuhr er durch meine neuerdings langen Monologe über die neuesten Grenzerfahrungen bei der Yoga-Praxis mehr über diese Art der Betätigung, als ihm lieb war. Schon bald waren ihm Begriffe wie Basic, Medium und Open geläufig, die gängigen Übungsformen kannte er rasch zumindest dem Namen nach, und die Vorzüge der einzelnen Yoga-Lofts und meiner Lieblingslehrer konnte er auswendig aufsagen.
Allerdings glaubte ich immer wieder, eine gewisse Skepsis herauszuhören, wenn er meine Erzählungen von Kirtan-Abenden oder den übungsbegleitenden Gesängen bei der Yoga-Praxis kommentierte: „Chef, das klingt ja furchtbar, wer dich kennt, kann nicht glauben, dass du das aushältst.“Um Jens’ Horizont zu erweitern, meldete ich ihn für einen Absolute-Beginner-Einführungskurs an. Um sicher zu gehen, dass er dieses großzügige Geschenk auch gebührend würdigen und den Kurs besuchen wird, eröffnete ich ihm, dass ich ihn begleiten werde. Nach anfänglich leichtem Zögern („Chef, das kannst du nicht von mir verlangen, was werden meine Kumpels sagen, wenn sie das erfahren? Wenn du mich nicht sofort wieder abmeldest, bring ich den Fall vor den Betriebsrat.“) konnte ich ihn schnell für die Idee begeistern. Ich schickte ihm nämlich den Link zu dem Anfängerangebot.
Als er dort las, dass ihm in den bevorstehenden zweieinhalb Stunden auch die „fünf Säulen“des Jivamukti-Yogas - Klang, Meditation, Schriften, Hingabe und Gewaltlosigkeit - nahegebracht werden würden, war er noch nicht wirklich überzeugt. Seine alterstypischen Musikvorlieben würde ich eher nicht unter „Klang“einordnen, Meditation hält er vermutlich für Rumsitzen und Nichtstun. Mit Schriften kennt Jens sich nach drei Jahren in der Rechtsabteilung eines Verlages allerdings aus, und ohne Hingabe hätte er diese Zeit als mein Assistent nicht durchgehalten. Gewaltlosigkeit aber hat er in dieser Zeit zumindest von mir nicht vorgelebt bekommen, dazu hat er mich zu oft im Gerichtssaal erleben müssen.
Alle Bedenken aber waren rasch verflogen und Jens restlos begeistert, als er das Foto der Kursleiterin sah. „Oh, die gefällt mir.Versprichst du mir, dass die den Kurs auch wirklich hält? Nicht dass das dann irgendein Kerl macht, der mich womöglich noch anfasst.“Ich beruhigte ihn,
klar, die Ivana macht das, keine Sorge. Ich dachte, ich behalte besser für mich, dass gerade sie zurzeit sehr viel im Ausland unterwegs ist, um die Lehre des Jivamukti-Yogas allüberall zu verbreiten. Deshalb besteht durchaus ein kleines Restrisiko, dass sie den Rückflug nicht rechtzeitig schafft und es ein Mann sein könnte, der Jens in die Welt der Yogis einführt.
Nachdem Jens das Foto ausgiebig betrachtet hatte, las er zum Glück nicht mehr weiter, was ihn laut Kursankündigung noch alles erwarten würde: die alten yogischen Schriften, die Hingabe an Gott, das Singen von Mantras. Aber damit würde Jens schon klarkommen, wer in der Nähe von Bremen Abitur gemacht und als Zivi Hausmeister auf Sylt war, ist hart im Nehmen.
Sehr neugierig war ich, ob sich die weiteren Kursankündigungen erfüllen und vielleicht tatsächlich Jens „schon nach ein paar Minuten merken“würde, dass „sich etwas verändert“, nämlich dass „Entspannung und verbesserte Sauerstoffversorgung des Körpers“zu „spontaner Heilung von Schmerzen, guter Laune und Selbsterkenntnis“führen werden. Was war unter Spontanheilung zu verstehen? Mussten wir damit rechnen, dass nach dem Beispiel der Heiligen Grotte in Lourdes Lahme auf Rollstühlen hereingeschoben werden, die dann spontan geheilt aufspringen und wenn auch nicht Hosianna singen, so sich doch hingebungsvoll in den nach unten schauenden Hund oder den Schulterstand begeben werden?
Am Kurstag bin ich schon eine halbe Stunde vor Beginn im Yoga-Loft und reserviere für mich und Jens Plätze ganz hinten, um bei dem zu erwartenden Andrang wenigstens etwas Privatsphäre in Form von fehlenden Nachbarn zu haben. Kurz vor Beginn kommt auch Jens in den Raum
geschlendert. Zuerst sieht er mich gar nicht. Er muss sich erst einen Weg bahnen durch Reihen von weiblichen Teilnehmern, die mit weit geöffneten Beinen als Zeichen größtmöglicher Entspannung auf dem Boden liegen. Ich winke ihm zu. Etwas verstört nähert er sich.
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