Beim ersten Om wird alles anders
Zehen berühren zu können, hat euch hierher gebracht.“Wie diese Einführung auf Jens wirkt, kann ich nicht beurteilen, er zeigt keine Regung.
Das ändert sich aber schon bei der ersten Atemübung. Dazu müssen wir uns auf den Rücken legen, einen Block zwischen die Schulterblätter pressen und das Schlüsselbein anheben. Das tut anfangs ziemlich weh, dann aber gewöhnt man sich daran, und auf Kommando heben und senken sich 100 Brustkörbe, atmen 100 Menschen laut ein und aus. Aufgelockert wird das gemeinsame Atmen durch einige Gedanken von Ivana über die Schönheit des Lebens und darüber, dass wir eigentlich viel dankbarer für unser Leben sein sollten. Wir erfahren, dass Atmen nur
im Hier und Jetzt erfolgt, dass wir nicht für die Zukunft atmen können und vergangenes Atmen vorüber ist. Das sollen wir auch auf das Leben übertragen, und uns stärker auf die Gegenwart konzentrieren. Prima, wird gemacht.
Ivana meint auch, dass wir auf diese Art den Atem vorreinigen und ihn anfeuchten und den Körper durch die dadurch erzeugte Hitze reinigen, zugleich aber die Muskeln geschmeidig halten. Dann lernen die Anfänger, wie sie die Stimmritze verschließen, also stumm durch den Mund ausatmen. Für mich nicht unerwartet kommt die Anweisung, den Beckenboden nach innen und oben zu ziehen und zugleich anzuspannen. Einigen männlichen Yoga-Neulingen sehe ich die Frage „Beckenboden? Was soll denn das sein?“förmlich aus den Augen leuchten. Als hätte Ivana ihre Gedanken erraten, erläutert sie das sehr anschaulich: „Stellt euch vor, ihr seid auf der Autobahn unterwegs. Ihr müsst auf die Toilette, aber die nächste Raststätte ist noch weit. Was ihr dann macht, ist Yoga. Nämlich den Beckenboden anspannen.“Immerhin, so die besonders für die Männer beruhigende Mitteilung, werde die korrekte Ausführung dieser Übung von den Lehrerinnen nicht kontrolliert. Allerdings, so Ivana schmunzelnd weiter, gebe es auch keine Hilfestellung.
Bei alldem beobachte ich Jens. Das mit dem Atmen hat er prima hinbekommen, aber die Beckenbodenübung hat er vielleicht ausgelassen. Mit Rücksicht auf sein Persönlichkeitsrecht frage ich nicht weiter nach.
Endlich ist genug geatmet und es geht zur Sache. Nach dem Kommando „Socken aus“legen wir uns alle flach hin, strecken ein Bein senkrecht in die Höhe und stecken das Bein durch das Band, mit dessen Hilfe wir das Bein im 90-Grad-Winkel halten. „Ja, das ist anstrengend, besonders
für die Männer. Seid aber dankbar, dass ihr einen Körper habt.“Recht hat sie. Dabei wird allen, Männern wie Frauen, schnell warm. Ivana aber scherzt weiter: „Wir sind Yogis, wir sind gerne in kleinen stickigen Räumen, wir schwitzen gerne, aber wir machen keine Fenster auf. Wartet mal, bis ihr Bikram-Yoga macht.Yoga bei 40 Grad, da wird Euch erst richtig warm.“
Richtig heiß wird es dann bei Ivanas Spezial-Liegestützen, bei denen man auf einem Bein und einer Hand stehend zehnmal abwechselnd diagonal Ellbogen und Knie zusammenführt. Nicht nur Jens steht der Schweiß auf der Stirn, der ganze Raum ist von Ächzen und Stöhnen erfüllt, das einer großen Erleichterung Platz macht, als die Übung endlich geschafft ist.
Ivana ist anscheinend daran gelegen, die Anfänger an ihre Grenzen zu führen, denn nun müssen wir uns im Sitzen über die ausgestreckten Beine beugen und versuchen, die Zehen zu berühren. Immerhin die Hälfte der Teilnehmerinnen und Teilnehmer und auch Jens erreichen ihre Zehen.
Die folgende Übung ist der Drehsitz, bei dem man die nach vorne gerichteten Beine übereinander schlägt und den Kopf nach hinten dreht. Das beherrscht jeder auf seine eigene Art und Weise, auch wenn vielleicht nicht jeder schon beim ersten Mal die dazugehörige Anweisung versteht: „In die Hüften einatmen, dabei das Brustbein nach vorne.“
Nicht fehlen darf eine Übung, bei der man sich als Anfänger sehr leicht sehr ungeschickt fühlen kann. Der Baum. Dabei steht man auf einem Bein und legt den Knöchel des anderen in die Leistengegend des Standbeins. Als wäre das nicht schon schwer genug für den Ungeübten, wird auch noch verlangt, dass man beide Arme über den Kopf nimmt und die Hände aneinanderpresst. Mögen
auch noch so viele Novizen links und rechts um ihn herum fallen - Jens steht wie eine Eins.
Respekt, mein erster Baum sah damals in meiner ersten Anfängerstunde im Vergleich sehr wacklig aus. Entweder ist Jens ein Naturtalent oder er hat doch schon mehr Zeit mit der Yoga-DVD der
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