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Beim ersten Sonnenstrahl (Teil 3) (German Edition)

Beim ersten Sonnenstrahl (Teil 3) (German Edition)

Titel: Beim ersten Sonnenstrahl (Teil 3) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inka Loreen Minden
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die sie zuvor inspiziert hatten, sowie die anderen riesigen Türme, von denen mutige Besucher mit Fallschirmen sprangen.
    »Wie spät ist es?«, fragte Zahar und schaute zwei Krebsen zu, die sich auf dem sandigen Grund um ihr Revier stritten.
    David stellte sich neben ihn an die Scheibe. »Fünfzehn Uhr vorbei.«
    »Hast du ihn schon entdeckt?«
    David schüttelte den Kopf und schaute sich um. Viele Menschen befanden sich hier, die sich wispernd unterhielten, um die Tiere nicht zu verschrecken. Am meisten Respekt hatten sie vor den kleinen Haien mit den scharfen Zähnen, die majestätisch ihre Runden zogen. Kinder klebten mit Händen und Nasen am Glas, die Augen aufgerissen, während ihre Eltern die Tafeln studierten, um die Kleinen zu belehren, welches Wesen gerade an ihnen vorbeischwamm.
    »Dort ist er«, sagte David plötzlich und gab ihm einen Stups.
    Zahar sah den bärtigen Mann, der am Ende der Grotte stand, einen Block in der Hand, und etwas aufzeichnete. Beim Näherkommen erkannte Zahar, dass er ein seltsames Gebilde skizzierte, das auf der Lehrtafel als »Koralle« bezeichnet wurde. Zum Glück waren die Tier- und Pflanzenarten in mehreren Sprachen angeschrieben; ansonsten übersetzte David für ihn.
    »Monsieur Verne!« David eilte auf den Herrn zu, der den Stift in sein Sakko steckte und sich zu ihnen umdrehte.
    »Monsieur Elwood!« Sie schüttelten sich die Hände. »Und nennen Sie mich doch Jules.«
    David stellte auf französisch Zahar vor. » C`est mon ami, Zahar. Das ist mein Freund.«
    Jules wandte sich ihm lächelnd zu, reichte ihm die Hand und antwortete in gebrochenem Englisch: »Sehr erfreut, Sie kennenzulernen.« Dann wurden seine Augen groß.
    Zahars Sicht verschwamm. Während er Monsieur Verne berührte, flackerten erschreckende Bilder in seinem Kopf auf, die so lebendig waren, als würde er das Gesehene erleben. Er lag festgebunden auf einem Felsen, um ihn herum standen Männer mit grausamen Masken. Ihre toten, verzerrten Gesichter starrten auf ihn herab; ein unheimliches Lied erklang. Sie rückten näher, indes er sich in den Fesseln wand und versuchte, sich zu befreien. Sie hatten ihm die Hände auf die Brust gebunden, sodass er sich selbst verletzen würde, falls er seine Krallen ausfuhr.
    Da riss die Verbindung ab.
    »Zahar!« David zog ihn mit sich, irgendwo in die Dunkelheit der Grotte. Er hatte immer noch die Bilder vor Augen.
    »Was hast du gesehen?« David klang alarmiert. »Du hast geschrien!«
    »Hab ich das?«, wisperte er und fasste sich an die Brust. Er hatte sein Hemd nicht zerfetzt. Auch besaß er keine Krallen. Er war ein Mensch. Nur für wie lange noch? Sie waren schon den ganzen Tag unterwegs. Was, wenn er sich hier verwandelte? Sie hatten keine Erfahrung, wie lange sein Körper in diesem Stadium blieb.
    Monsieur Verne öffnete eine verborgene Tür in der künstlichen Felswand, die ins Freie führte. Das Licht blendete Zahar, weshalb er wieder die Brille aufsetzte.
    Der Ort war sicher nicht für Besucher gedacht, denn sie befanden sich hinter den Aquarien, wo riesige Pumpen das Wasser aufbereiteten und geschäftig vor sich hinschnauften. Sie gingen ein Stück weiter bis zu einem kleinen Pavillon, in dem ein einfacher Holztisch und vier Stühle standen. Seufzend ließ Zahar sich nieder. Ihm zitterten die Knie.
    »Hier sind wir ungestört«, sagte der Schriftsteller und hockte sich ihm gegenüber. »Ich darf mich an diesen Platz zurückziehen, wenn ich arbeite. Außer einigen Angestellten, die Mittagspause machen, kommt sonst niemand vorbei.«
    David setzte sich neben Zahar. »Was hast du gesehen?«
    »Ein Ritual. Es war furchtbar, weil ich dachte, ich wäre das Opfer.«
    Kurz berührte David seine Hand. »Du musst das nicht tun.«
    Er schüttelte den Kopf. »Deswegen sind wir doch hergekommen. Außerdem will ich wissen, wie dieser Fluch zu brechen ist.« Tief schaute er David in die Augen und wollte ihm sagen: Ich mache das für dich. Für uns und eine gemeinsame Zukunft, auch wenn wir unsere wahren Gefühle verstecken müssen. Aber ich werde ein Teil deiner Welt sein. Ein Teil von dir.
    »Ich wünschte, ich könnte sehen, was du siehst«, sagte David.
    Jules Verne streckte den Arm aus. »Das können Sie. Geben Sie mir die Hand.«
    Sie reichten sich über der Tischplatte die Hände, sodass sie einen geschlossenen Kreis bildeten. Erneut sah Zahar sich auf dem Altar gefesselt.
    »Das sind nicht Sie, sondern einer Ihrer Vorfahren«, hörte er Monsieur Verne. »Dämonenpriester.

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