Beim Leben meiner Schwester
ganze Weile dort stehen und schnitt Grimassen, und kein Mensch störte sich daran. SchlieÃlich stellte ich mich mitten auf eine groÃe Kreuzung. Taxis hupten wütend, und ein Auto konnte mir nur knapp ausweichen, dann kamen zwei Cops angerannt, um mich zu retten. Als mein Dad mich von der Polizeiwache abholte, wollte er wissen, was in aller Welt ich mir bloà dabei gedacht hätte.
Ich hatte gar nichts gedacht, ich wollte eigentlich nur irgendwohin, wo ich beachtet werden würde.
Zuerst zieh ich mein T-Shirt aus und tauche es in eine Pfütze am StraÃenrand, dann wickele ich es mir um Kopf und Gesicht. Der Rauch wallt bereits auf, wütende schwarze Wolken. In der Ferne höre ich Sirenen. Aber ich habe Dan etwas versprochen.
Die Hitze trifft mich wie eine Wand, die solider ist, als sie aussieht. Das Gerippe des Schuppens zeichnet sich deutlich ab, eine orangerote Röntgenaufnahme. Drinnen kann ich keinen halben Meter weit sehen.
»Ratte«, brülle ich, schon jetzt mit rauher und heiserer Kehle vom vielen Rauch. »Ratte!«
Keine Antwort. Ich gehe auf alle viere, taste mich vorwärts.
Richtig unangenehm wird es erst, als ich meine Hand auf etwas Metallenes lege, das in der Hitze glühendheià geworden ist. Meine Haut bleibt daran kleben, wirft sofort Blasen. Als ich schlieÃlich einen beschuhten Fuà spüre, schluchze ich auf, sicher, daà ich hier nie wieder rauskomme. Ich taste mich an Ratte hoch, richte mich auf und hieve seinen schlaffen Körper über meine Schulter. Dann taumele ich den Weg zurück, den ich gekommen bin.
Durch eine Laune Gottes schaffen wir es nach drauÃen. Die Löschzüge treffen bereits ein. Vielleicht ist mein Vater dabei. Ich bleibe im Schutz des Rauches und lege Ratte auf der Erde ab. Dann laufe ich in die andere Richtung, überlasse den Rest den Leuten, die schlieÃlich Helden sein wollen.
ANNA
Habt ihr euch schon mal gefragt, wie wir alle hierhergekommen sind? Auf die Erde, meine ich. VergeÃt das Märchen von Adam und Eva, alles Quatsch. Meinem Vater gefällt die Legende, die sich die Pawnee-Indianer erzählen. Für sie haben die Sterngötter die Erde bevölkert: Abend- und Morgenstern haben geheiratet und ein Mädchen bekommen, das erste weibliche Wesen. Der erste Junge stammte von der Sonne und dem Mond ab. Menschen kamen auf dem Rücken eines Tornados angeritten.
Mr. Hume, mein Biolehrer, hat uns von dieser Ursuppe aus natürlichen Gasen und Schleim und Kohlenstoff erzählt, die sich dann irgendwie zu einzelligen Organismen verdickt hat, die Choanoflagellaten heiÃen ⦠was sich für mich eher nach einer Geschlechtskrankheit anhört als nach dem Anfang der Evolutionskette. Doch selbst wenn man das glaubt, ist es immer noch ein riesiger Sprung von einer Amöbe bis zu einem Affen und von da bis zu einem denkenden Menschen.
Jedenfalls, ganz gleich, was man glaubt, total erstaunlich an dem ganzen Kram finde ich, daà verdammt viel passieren muÃte, um von einem Punkt, an dem es nichts gab, zu einem Punkt zu kommen, an dem lauter fein aufeinander abgestimmte Neuronen feuern und knallen, damit wir Entscheidungen treffen können.
Und noch erstaunlicher finde ich, daà wir Menschen es schaffen, ständig Mist zu bauen.
Am Samstagmorgen bin ich mit Kate und meiner Mutter im Krankenhaus, und wir tun alle so, als würde meine Anhörung nicht in zwei Tagen beginnen. Ihr denkt vielleicht, das wäre schwer, aber nein, es ist wesentlich leichter als die Alternative. In unserer Familie sind wir alle Weltmeister darin, uns selbst etwas vorzumachen: Wenn wir nicht drüber sprechen, dann gibt es â schwups! â kein Verfahren, kein Nierenversagen, keine Sorgen mehr.
Ich sehe mir die Serie âºHappy Daysâ¹ im Fernsehen an. Diese Cunninghams sind auch nicht viel anders als wir. Sie haben nämlich anscheinend keine gröÃeren Probleme als die, ob Richies Band noch von Als Kneipe engagiert wird oder ob Fonzie den KuÃwettbewerb gewinnt, wo doch selbst ich weiÃ, daà in den fünfziger Jahren Joanie wahrscheinlich Luftschutzübungen in der Schule hatte und Marion vermutlich auf Valium war und Howard eine ScheiÃangst vor Angriffen der Kommunisten hatte. Wenn man sein Leben lang so tut, als würde man in einer Filmkulisse leben, muà man sich vielleicht nie eingestehen, daà die Wände aus Pappe bestehen und das Essen aus Plastik ist und die
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