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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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sie immer nahm.
    Â»Der zweite Grund, warum ich anrufe«, sagt meine Mutter, »ist der, daß ich dir gute Nacht sagen möchte.«
    Â»Ist das alles?«
    In ihrer Stimme kann ich ein Lächeln hören. »Reicht das nicht?«
    Â»Doch«, sage ich, obwohl es nicht stimmt.
    Weil ich nicht schlafen kann, stehe ich auf und schleiche mich an meinem schnarchenden Vater vorbei aus dem Zimmer. Ich stibitze das ›Guinness-Buch der Rekorde‹ aus dem Aufenthaltsraum und steige damit aufs Dach der Feuerwache, um im Mondschein zu lesen. Ein achtzehn Monate altes Kind namens Alejandro ist in Murcia, Spanien, 19 Meter 90 tief aus einem Fenster der elterlichen Wohnung gefallen und wurde damit zu dem Kind, das den tiefsten Sturz überlebte. Roy Sullivan aus Virginia überlebte sieben Blitzschläge, um sich dann das Leben zu nehmen, nachdem seine Angebetete ihn abgewiesen hatte. Eine Katze wurde achtzig Tage nach einem Erdbeben in Taiwan, das 2000 Todesopfer forderte, lebend aus den Trümmern eines Hauses geborgen. Ich lese wieder mal in dem Kapitel ݆berlebende und Lebensretter‹ und füge im Geiste hinzu: Längste überlebende APL -Patientin, selbstloseste Schwester .
    Mein Vater kommt aufs Dach, als ich das Buch beiseite gelegt habe und am Himmel Vega suche. »Heute ist nicht viel zu erkennen, was?« sagt er und setzt sich neben mich. Die Nacht ist in Wolken gehüllt, selbst der Mond sieht aus wie mit Watte bedeckt.
    Â»Nein«, sage ich. »Alles verschwommen.«
    Â»Hast du’s schon mit dem Teleskop probiert?«
    Er steht auf und hantiert eine Weile am Fernrohr herum, bis er einsieht, daß es nichts bringt. Plötzlich fällt mir ein, wie ich mal, als ich ungefähr sieben war, mit ihm im Auto unterwegs war und gefragt habe, wie Erwachsene den Weg finden, wenn sie irgendwohin wollen. Schließlich hatte ich noch nie gesehen, daß er eine Landkarte zu Hilfe nahm.
    Â»Wir merken uns einfach, wo wir abbiegen müssen«, sagte er, aber die Antwort genügte mir nicht.
    Â»Und wie macht ihr das, wenn ihr zum ersten Mal irgendwo hinfahrt?«
    Â»Na ja«, sagte er, »dann lassen wir uns eine Wegbeschreibung geben.«
    Aber ich will wissen, woher der, der als erster irgendwo hinfährt, den Weg kennt. Wo vorher noch keiner war. »Dad?« frage ich, »stimmt es, daß man Sterne wie eine Straßenkarte benutzen kann?«
    Â»Ja, wenn man was von Sternennavigation versteht.«
    Â»Ist das schwer?« Ich überlege, ob ich das nicht lernen sollte. Als Notlösung für die vielen Male, wenn ich das Gefühl habe, ich bewege mich nur im Kreis.
    Â»Es ist ziemlich viel Rechnerei – du mißt die Höhe eines Sterns, siehst im nautischen Almanach nach, über welchem Punkt der Erde der Stern steht, bestimmst die Höhe, die der Stern deiner Meinung nach haben müßte, und in welcher Richtung er sich aufgrund deiner vermuteten Position befinden müßte und vergleichst die Höhe, die du gemessen hast, mit der, die du errechnet hast. Dann trägst du das auf einer Karte ein, als Positionslinie. Du erstellst mehrere Positionslinien, die sich überschneiden, und das ist dein Ziel.« Mein Vater wirft einen Blick auf mein Gesicht und schmunzelt. »Genau«, sagt er lachend. »Verlaß das Haus nie ohne dein GPS-Gerät.«
    Aber ich wette, daß ich es irgendwann hinkriegen könnte; so verwirrend ist das gar nicht. Du bewegst dich auf den Punkt zu, an dem all die verschiedenen Positionen sich überschneiden, und hoffst, daß alles gutgeht.
    Wenn es eine Religion namens Annaismus gäbe und ich euch erklären müßte, wie die Menschen auf die Erde gekommen sind, würde ich folgendes erzählen: Am Anfang gab es nichts anderes als den Mond und die Sonne. Und der Mond wollte tagsüber herauskommen, aber da gab es etwas, das sehr viel heller war als er und all die Stunden am Tag ausfüllte. Der Mond wurde hungrig und immer dünner, bis er nur noch eine Sichel war, oben und unten spitz wie ein Messer. Aus Versehen, denn so passieren die meisten Dinge, piekste er ein Loch in die Nacht und eine Million Sterne purzelten heraus wie eine Fontäne aus Tränen.
    Entsetzt versuchte der Mond, sie alle zu verschlucken. Und manchmal gelang es ihm, denn er wurde dicker und runder. Aber meistens hatte er keine Chance, weil es einfach zu viele waren. Die Sterne wurden immer mehr, bis sie den Himmel so hell

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