Beim Leben meiner Schwester
Schultern. »Du?«
»Es gibt da einen Jungen, Kyle McFee, bei dem ich dachte, ich mag ihn, aber jetzt weià ich nicht mehr so richtig.« Ich nehme einen Kuli und schraube ihn auseinander, ziehe das dünne Röhrchen mit blauer Farbe heraus.
»Was ist denn passiert?«
»Wir hatten ein Date und waren zusammen im Kino, und als der Film aus war und wir aufgestanden sind, hatte er â« Ich werde knallrot. »Na ja, Sie wissen schon.« Ich deute unbestimmt in die Richtung meines SchoÃes.
»Verstehe«, sagt Julia.
»Er hat mich gerade gefragt, ob ich schon mal Schreinern in der Schule hatte â können Sie sich das vorstellen, Schrei nern ? â und ich wollte gerade nein sagen und zack, hab ich direkt drauf geguckt.« Ich lege den enthaupteten Stift wieder auf den Schreibtisch. »Wenn ich ihn jetzt in der Stadt sehe, muà ich immer daran denken.« Ich blicke zu ihr hoch. »Bin ich pervers oder so?«
»Nein, du bist dreizehn. Genau wie Kyle übrigens. Er konnte genauso wenig dafür, daà das passiert ist, wie du was dafür kannst, daà du dran denkst, wenn du ihn siehst. Mein Bruder Anthony hat mal gesagt, es gäbe nur zwei Zeiten, wo Jungs erregt sein könnten: tagsüber und nachts.«
»Ihr Bruder hat mit Ihnen über solche Sachen gesprochen?«
Sie lacht. »Na klar. Wieso, würde Jesse das nicht tun?«
Ich schnaube. »Wenn ich Jesse was über Sex fragen würde, würde er sich scheckig lachen. Und dann würde er mir einen Stapel âºPlayboysâ¹ in die Hand drücken und sagen, ich soll recherchieren.«
»Was ist mit deinen Eltern?«
Ich schüttele den Kopf. »Mein Dad kommt nicht in Frage â weil er mein Dad ist. Meine Mom hat andere Sorgen. Und Kate hat genauso wenig Ahnung wie ich. Haben Sie sich mit Ihrer Schwester schon mal wegen einem Jungen gestritten?«
»Wir stehen zum Glück nicht auf denselben Typ.«
»Was ist denn Ihr Typ?«
Sie überlegt. »Weià ich gar nicht. GroÃ. Dunkelhaarig. Lebendig.«
»Finden Sie Campbell sü�«
Julia fällt beinahe vom Stuhl. »Wie bitte?«
»Na ja, ich meine, dafür, daà er schon älter ist.«
»Ich könnte mir durchaus vorstellen, daà es Frauen gibt, die ihn ⦠attraktiv finden«, sagt sie.
»Er sieht aus wie ein Schauspieler in Kates Lieblingsserie.« Ich fahre mit dem Daumen über eine Rille im Holz der Schreibtischplatte. »Ist schon komisch. Daà ich mal groà werde und jemanden küsse und heirate.«
Und Kate nicht.
Julia beugt sich vor. »Was wird sein, wenn deine Schwester stirbt, Anna?«
Auf einem der Schreibtischfotos bin ich mit Kate zu sehen. Wir sind klein â vielleicht fünf und zwei. Es ist vor ihrem ersten Rückfall, nachdem ihre Haare nachgewachsen sind. Wir stehen uns an einem Strand gegenüber, in gleichen Badeanzügen, und machen ein Klatschspiel. Wenn man das Foto in der Mitte falten würde, könnte man meinen, es wäre ein Spiegelbild â Kate klein für ihr Alter und ich groÃ; Kates Haar hat eine andere Farbe, aber den gleichen Scheitel und unten die gleiche Welle; Kates Hände sind gegen meine gepreÃt. Erst jetzt wird mir richtig klar, wie ähnlich wir uns sehen.
Das Telefon klingelt kurz vor zehn am selben Abend in der Wache, und zu meiner Verblüffung wird mein Name über Lautsprecher ausgerufen. Ich gehe an den Apparat in der Küche, die nach dem Abendessen aufgeräumt und geputzt wurde. »Hallo?«
»Anna«, sagt meine Mutter.
Sofort befürchte ich, daà sie wegen Kate anruft. Nach dem, wie wir heute im Krankenhaus auseinandergegangen sind, wird sie mir nicht mehr viel zu sagen haben. »Ist alles in Ordnung?«
»Kate schläft.«
»Das ist gut«, erwidere ich und frage mich dann, ob das wirklich gut ist.
»Ich rufe aus zwei Gründen an. Erstens, ich möchte mich wegen heute morgen entschuldigen.«
Ich fühle mich ganz klein. »Ich mich auch«, gebe ich zu. Plötzlich muà ich daran denken, wie sie mir immer gute Nacht gesagt hat. Sie ging zuerst zu Kates Bett und beugte sich runter und sagte, sie würde Anna einen Kuà geben. Und dann kam sie zu mir und sagte, sie würde Kate ganz fest drücken. Wir haben uns jedesmal weggelacht. Sie machte das Licht aus, und nachdem sie gegangen war, roch es im Zimmer noch ganz lange nach der Lotion, die
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