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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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gewünscht hat, als daß ihre Schwester wieder gesund wird.«
    Â»Ja, natürlich«, erwidere ich, »damit Sie endlich aufhören, Nadeln in sie reinzustechen.«
    Â»Es reicht, Mr. Alexander«, wirft Richter DeSalvo ein.
    Â»Moment noch«, sagt Sara. »Ich möchte etwas sagen.« Sie wendet sich an mich. »Sie glauben, Sie können alles in Worte fassen, klipp und klar, aber so einfach ist das nicht. Sie vertreten nur eine meiner Töchter, Mr. Alexander, und nur in diesem Gerichtssaal. Ich vertrete beide gleich, immer, überall. Ich liebe beide gleich, immer, überall.«
    Â»Aber Sie haben zugegeben, daß Sie bei Ihren Entscheidungen stets Kates Gesundheit im Auge hatten, nicht die von Anna«, wende ich ein. »Wie können Sie da behaupten, sie beide gleich zu lieben? Wie können Sie sagen, Sie hätten bei Ihren Entscheidungen nicht doch ein Kind bevorzugt?«
    Â»Verlangen Sie nicht genau das von mir?« fragt Sara. »Nur daß ich diesmal das andere Kind bevorzugen soll?«
    ANNA
    Als Kind hast du deine eigene Sprache, du lernst sie nicht, du wirst mit ihr geboren und verlierst sie irgendwann. Jedes Kind unter sieben beherrscht die Was-wenn-Sprache fließend. Was, wenn jetzt eine riesige giftige Spinne aus dem Loch da über deinem Kopf gekrochen kommt und dich in den Hals beißt? Was, wenn das einzige wirksame Gegengift in einem Tresor ganz oben auf einem Berggipfel liegt? Was, wenn du den Biß überlebst, aber nur noch die Augenlider bewegen kannst und das Alphabet blinzeln mußt? Wie weit du gehst, ist eigentlich egal. Wichtig ist, daß es eine Welt voller Möglichkeiten ist. Kinder denken mit einem weit geöffneten Hirn; ich bin inzwischen überzeugt, daß Erwachsenwerden nur ein langsames Zunähen ist.
    In der ersten Pause geht Campbell mit mir in ein Besprechungszimmer, wo wir allein sind, und kauft mir eine Cola. »Also«, sagt er. »Wie findest du’s bisher?«
    Es ist seltsam, im Gerichtssaal zu sein. Als wäre ich ein Geist geworden – stellt euch vor, wie komisch es für mich ist, daß ich mir die ganze Zeit anhören muß, wie die anderen über mein Leben reden.
    Campbell öffnet seine 7-UP-Dose und setzt sich mir gegenüber. Er gießt ein bißchen für Judge in einen Pappbecher und trinkt dann einen kräftigen Schluck. »Kommentare?« sagt er. »Fragen? Lobeshymnen auf meine raffinierte Taktik?«
    Ich zucke die Achseln. »Es ist nicht so, wie ich dachte.«
    Â»Wie meinst du das?«
    Â»Ich glaub, am Anfang hab ich gedacht, ich wüßte genau, daß ich das Richtige tue. Aber als meine Mom da oben saß und Sie ihr die ganzen Fragen gestellt haben …« Ich sehe ihn an. »Sie hat gesagt, daß es nicht einfach ist. Da hat sie recht.«
    Was, wenn ich die kranke Tochter wäre? Was, wenn Kate gebeten worden wäre, all das für mich zu tun, was ich für sie getan habe? Was, wenn eines schönen Tages eine Kno chenmark- oder Blutspende reichen würde und die Sache wäre ausgestanden? Was, wenn wir irgendwann auf das Ganze hier zurückschauen könnten und froh darüber wären, was wir getan haben, anstatt uns schuldig zu füh len? Was, wenn der Richter nicht glaubt, daß ich recht habe?
    Und was, wenn er es glaubt?
    Ich kann keine einzige Frage davon beantworten, und das verrät mir, daß ich erwachsen werde, ob ich will oder nicht.
    Â»Anna.« Campbell steht auf und kommt um den Tisch herum auf meine Seite. »Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, deine Meinung zu ändern.«
    Â»Ich ändere meine Meinung nicht.« Ich rolle die Dose zwischen den Händen. »Ich glaube, ich will damit nur sagen, daß wir nicht gewonnen haben, auch wenn wir gewinnen.«
    Der zweite Zeuge, den Campbell aufruft, ist Dr. Bergen, der Leiter der ärztlichen Ethikkommission im Krankenhaus von Providence. Er hat graumeliertes Haar und ein eingedelltes Gesicht wie eine Kartoffel. »Dr. Bergen«, fängt Campbell an, »was ist eine Ethikkommission?«
    Â»Eine buntgemischte Gruppe von Ärzten, medizinischen Fachkräften, Ethikern und Naturwissenschaftlern, die den Auftrag haben, einzelne Fälle zu überprüfen, um die Rechte der Patienten zu schützen. Wir versuchen dabei, uns an sechs Grundregeln zu halten.« Er zählt sie an den Fingern ab. »Selbstbestimmung, also das Prinzip, daß jeder

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