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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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zuerst gelogen. Sie können ganz normal hören.«
    Â»Und du bist eine freche Göre.« Ich muß lachen. »Du erinnerst mich an mich.«
    Â»Soll das ein Kompliment sein?« sagt Anna, aber sie lächelt.
    Der Park wird langsam voller. Eine ganze Gruppe Kindergartenkinder, aneinander geschirrt wie Schlittenhunde, zieht zwei Erzieherinnen hinter sich her. Jemand saust auf einem Rennrad vorbei, angetan mit den Farben der US-Post. »Komm, ich lad dich zum Frühstück ein.«
    Â»Aber wir kommen zu spät.«
    Ich zucke die Achseln. »Na und?«
    Richter DeSalvo ist nicht gut aufgelegt. Annas kleine Exkursion und unser anschließendes Frühstück heute morgen haben uns anderthalb Stunden gekostet. Er funkelt mich böse an, als Judge und ich in sein Büro gehastet kommen, wo das Vorgespräch stattfindet. »Entschuldigen Sie vielmals, Euer Ehren. Wir hatten einen tierärztlichen Notfall.«
    Ich spüre mehr, als daß ich es sehe, wie Sara die Kinnlade herunterklappt. »Da habe ich von Ihrer Kollegin hier aber was anderes gehört«, sagt der Richter.
    Ich blicke DeSalvo direkt in die Augen. »Aber so war’s. Anna war so lieb und hat mir geholfen, den Hund ruhig zu halten, während ihm ein Glassplitter aus der Pfote entfernt wurde.«
    Der Richter bleibt skeptisch. Aber es gibt Gesetze gegen die Diskriminierung von Behinderten, und die nutze ich jetzt voll aus. Ich möchte vor allen Dingen vermeiden, daß er Anna für die Verzögerung verantwortlich macht. »Besteht Aussicht, ohne Anhörung über den Antrag zu entscheiden?« fragt er.
    Â»Leider nein.« Anna ist zwar nicht gewillt, ihre Geheimnisse zu verraten, was ich nur respektieren kann, aber sie ist sicher, daß sie die Sache durchziehen will.
    Der Richter akzeptiert meine Antwort. »Mrs. Fitzgerald, vertreten Sie sich nach wie vor selbst?«
    Â»Ja, Euer Ehren«, sagt sie.
    Â»Also schön.« Richter DeSalvo blickt jeden von uns an. »Wir sind hier im Familiengericht. In Familiensachen und vor allem in Anhörungen wie dieser neige ich persönlich dazu, die Regeln der Beweisführung zu lockern, weil ich das Verfahren möglichst konfliktfrei gestalten möchte. Ich bin durchaus in der Lage herauszufiltern, was zulässig ist und was nicht, und wenn es tatsächlich einen triftigen Grund für einen Einspruch gibt, höre ich mir den Einspruch an, aber es wäre mir sehr lieb, wenn wir die Anhörung rasch hinter uns brächten, ohne allzusehr auf Formalitäten zu achten.« Er blickt mich direkt an. »Wir sollten uns bemühen, das für alle Beteiligten so schmerzlos wie möglich zu halten.«
    Wir gehen in den Gerichtssaal – er ist kleiner als die für Strafprozesse, aber dennoch einschüchternd. Ich hole rasch Anna, die auf dem Korridor wartet. Als wir den Saal betreten, bleibt sie wie angewurzelt stehen. Sie blickt auf die hohen, getäfelten Wände, die Stuhlreihen, die imposante Richterbank. »Campbell«, flüstert sie, »ich muß doch nicht aufstehen und was sagen, oder?«
    Leider wird der Richter sehr wahrscheinlich von ihr selbst hören wollen, was sie zu sagen hat. Selbst wenn Julia sich für Annas Antrag ausspricht, selbst wenn Brian sagt, er möchte Anna helfen, wird Richter DeSalvo sie vielleicht in den Zeugenstand rufen. Aber wenn ich ihr das jetzt erzähle, regt sie sich nur auf – und das wäre kein guter Auftakt für eine Anhörung.
    Ich muß an das Gespräch im Auto denken, als Anna mich einen Lügner genannt hat. Es gibt zwei Gründe, warum man nicht die Wahrheit sagt – weil man bekommen möchte, was man will, und weil man jemandem nicht weh tun will. Und ich habe beide Gründe im Kopf, als ich zu Anna sage: »Nein, ich glaube nicht.«
    Â»Euer Ehren«, beginne ich, »ich weiß, es ist nicht üblich, aber ich möchte etwas sagen, bevor wir mit der Zeugenbefragung beginnen.«
    Richter DeSalvo seufzt. »Hatte ich nicht vorhin darum gebeten, gerade auf solche Förmlichkeiten zu verzichten?«
    Â»Euer Ehren, ich würde nicht darum bitten, wenn es nicht wichtig wäre.«
    Â»Machen Sie’s kurz«, sagt der Richter.
    Ich erhebe mich und trete an die Richterbank. »Euer Ehren, Anna Fitzgerald hat sich ihr ganzes Leben lang medizinischen Behandlungen unterziehen müssen, die einzig und allein dem Wohl ihrer Schwester dienten, nicht ihrem

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