Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
Vom Netzwerk:
erklären Sie uns doch bitte«, sagt Campbell, »wie Anna Fitzgerald durch die Maschen dieses Sicherheitsnetzes rutschen konnte.«
    Meine Mutter hat zum ersten Mal die Gelegenheit, Anwältin zu spielen. »Dr. Bergen«, sagt sie, »wie lange kennen Sie meine Familie?«
    Â»Ich bin jetzt seit zehn Jahren am Providence Hospital.«
    Â»Wenn Ihnen in diesen zehn Jahren irgendein Aspekt von Kates Behandlung dargelegt wurde, was haben Sie dann gemacht?«
    Â»Mich dem empfohlenen Behandlungsplan angeschlossen«, sagt er. »Oder falls möglich eine Alternative vorgeschlagen.«
    Â»Haben Sie dabei je in Ihren Berichten erwähnt, daß Anna bei der Behandlung keine Rolle mehr spielen sollte?«
    Â»Nein.«
    Â»Haben Sie je festgestellt, daß das Verfahren für Anna extrem schmerzhaft sein würde?«
    Â»Nein.«
    Â»Oder daß es ihre Gesundheit erheblich gefährden würde?«
    Â»Nein.«
    Vielleicht ist ja doch nicht Campbell mein Retter in der Not. Vielleicht ist es meine Mutter.
    Â»Dr. Bergen«, fährt sie fort, »haben Sie Kinder?«
    Der Arzt blickt auf. »Ich habe einen Sohn. Er ist dreizehn.«
    Â»Wenn Sie sich die Fälle ansehen, die der Ethikkommission vorgelegt werden, haben Sie sich da je in die Lage eines Patienten versetzt? Oder besser noch, in die Lage der Eltern?«
    Â»Das habe ich«, gibt er zu.
    Â»Wenn Sie an meiner Stelle wären«, sagt meine Mutter, »und die Ethikkommission würde Ihnen ein Blatt mit empfohlenen medizinischen Maßnahmen geben, die das Leben Ihres Sohnes retten könnten, würden Sie dann noch weitere Fragen stellen … oder würden Sie die Chance mit beiden Händen ergreifen?«
    Er beantwortet die Frage nicht. Weil es nicht nötig ist.
    Danach ist wieder eine Pause. Campbell sagt irgendwas von aufstehen und Beine vertreten. Als ich hinter ihm her nach draußen gehe, komme ich direkt an meiner Mutter vorbei. Und auf einmal spüre ich ihre Hand an meinem Rücken, wie sie mein hochgerutschtes T-Shirt wieder runterzieht. Sie mag es nicht, wenn die Mädchen in rückenfreien Tops und tief sitzenden Hosen in die Schule kommen, als wollten sie zu einer Tanzprobe für ein Britney-Spears-Video anstatt in die Mathestunde.
    Mitten in der Bewegung scheint sie zu merken, daß sie das besser nicht hätte tun sollen. Ich bleibe stehen, und Campbell bleibt auch stehen, und sie wird knallrot im Gesicht.
    Â»Tschuldigung«, sagt sie.
    Ich lege meine Hand für einen Moment auf ihre und stopfe mir dann das T-Shirt wieder hinten in die Jeans, wo es hingehört. Ich sehe Campbell an. »Ich komm gleich nach.«
    Sein Blick signalisiert mir, daß er ganz und gar nicht begeistert ist, aber er nickt und geht den Gang hinunter. Dann sind meine Mutter und ich fast allein im Saal. Ich beuge mich vor und gebe ihr einen Kuß auf die Wange. »Du machst das toll«, sage ich, weil ich nicht die richtigen Worte für das finde, was ich eigentlich sagen will: daß die Menschen, die wir lieben, uns jeden Tag verblüffen können.
    SARA
    2002 Als Kate Taylor Ambrose kennenlernt, sitzen sie beide nebeneinander und bekommen eine Infusion. »Weswegen bist du hier?« fragt sie, und ich blicke sofort von meinem Buch auf, weil ich mich nicht erinnern kann, daß Kate in all den Jahren, die sie bereits ambulant behandelt wird, schon mal von sich aus mit irgendwem ein Gespräch angefangen hat.
    Der Junge, mit dem sie spricht, ist nicht viel älter als sie mit ihren vierzehn Jahren, vielleicht sechzehn. Er hat braune Augen, die tanzen, und trägt eine Mütze von den Boston Bruins auf dem kahlen Schädel. »Weil’s hier Gratiscocktails gibt«, antwortet er, und die Grübchen in seinen Wangen werden tiefer.
    Kate grinst. »Happy Hour«, sagt sie und blickt zu dem Beutel mit Thrombozyten hoch, die ihr eingeflößt werden.
    Â»Ich bin Taylor.« Er streckt ihr die Hand hin. »AML.«
    Â»Kate. APL.«
    Er stößt einen leisen Pfiff aus und zieht die Augenbrauen hoch. »Hoppla«, sagt er. »Was ganz Besonderes.«
    Kate wirft ihr kurzes Haar nach hinten. »Sind wir das nicht alle?«
    Ich schaue zu und staune. Wer ist diese kokette Person, und was hat sie mit meinem kleinen Mädchen gemacht?
    Â»Thrombozyten«, sagt er mit Blick auf das Etikett an ihrem Infusionsbeutel. »Bist du in Remission?«
    Â»Heute jedenfalls.« Kate

Weitere Kostenlose Bücher