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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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kommt, totaler Schwachsinn ist, krampft sich mein Magen zusammen. »Von wem?«
    Er sieht die Straße runter, dann wieder mich an. »Du weißt schon.« Er beugt sich näher zu mir und flüstert: »Mehr denken.«
    Â»Das sollst du mir bestellen?«
    Dan nickt. »Ja. Das war’s, oder vielleicht auch ›Mehr trinken ‹. Weiß ich nicht mehr so genau.«
    Â»Tja, den Tip nehm ich mir vielleicht sogar zu Herzen.« Ich gebe ihm einen kleinen Schubs, damit ich ins Auto steigen kann. Er ist leichter, als man meinen würde, als wäre das, was mal in ihm war, schon vor langer Zeit aufgebraucht worden. Wenn da was dran ist, dann grenzt es an ein Wunder, daß ich nicht zum Himmel hinaufschwebe. »Bis dann«, sage ich und fahre weiter zu dem Lagerhaus, das ich mir ausgeguckt habe.
    Ich suche nach Gebäuden, die so sind wie ich: groß, hohl, von fast allen vergessen. Das hier liegt in Olneyville, einem alten Viertel von Providence, und war früher mal ein Lagerhaus für ein Exportunternehmen. Jetzt haust hier nur noch eine Großfamilie von Ratten. Ich parke weit genug weg, damit mein Auto nicht auffällt. Ich stopfe den Kissenbezug mit dem Sägemehl unter die Jacke und trotte los.
    Erstaunlicherweise habe ich von meinem guten alten Dad doch was gelernt: Feuerwehrleute sind nämlich Experten darin, sich Zugang zu Gebäuden zu verschaffen. Das Schloß zu knacken ist ein Kinderspiel, und dann muß ich mir nur überlegen, wo ich anfangen soll. Ich schneide ein Loch in den Kissenbezug und schreibe mit dem herausrieselnden Sägemehl drei fette Buchstaben: JBF. Dann nehme ich die Säure und träufele sie über die Buchstaben.
    Es ist das erste Mal, daß ich es am hellichten Tag mache.
    Ich hole eine Packung Merits aus der Tasche, klopfe eine Zigarette heraus und klemm sie mir zwischen die Lippen. Mein Zippo-Feuerzeug ist fast leer; ich muß dran denken, es demnächst wieder nachzufüllen. Als ich fertig bin, richte ich mich auf, nehme noch einen letzten Zug und werfe die Kippe auf das Sägemehl. Ich weiß, es wird alles ganz schnell gehen, deshalb renne ich schon weg, als die Feuerwand hinter mir auflodert. Wie immer werden sie nach Spuren suchen. Aber dann wird von der Zigarette und meinen Initialen längst nichts mehr übrig sein. Der gesamte Boden darunter wird zerschmelzen. Die Wände werden brechen und einstürzen.
    Der erste Löschzug trifft am Brandort ein, als ich gerade wieder an meinem Auto bin und das Fernglas aus dem Kofferraum hole. Inzwischen hat das Feuer getan, was Feuer nun mal tut – es ist ausgebrochen. Fensterscheiben sind zerborsten, schwarzer Rauch steigt auf, eine Sonnenfinsternis.
    Als ich meine Mutter zum ersten Mal weinen sah, war ich fünf. Sie stand am Küchenfenster und tat so, als wäre nichts. Die Sonne ging gerade auf, ein angeschwollener Knoten. »Was hast du?« fragte ich. Sie sagte: »Ich bin traurig«, und viel später wurde mir klar, daß ich ihre Antwort schon damals ganz normal fand.
    Der Himmel ist jetzt schwer und dunkel vom Rauch. Funken sprühen, als das Dach einstürzt. Eine zweite Feuerwehrcrew kommt. Das sind die, die vom Abendessen und unter der Dusche und von der Wohnzimmercouch weggeholt wurden. Durchs Fernglas kann ich nur seinen Namen erkennen, der auf dem Rücken der Einsatzjacke schillert, als wäre er mit Brillanten geschrieben. Fitzgerald. Mein Vater schnappt sich einen Schlauch, und ich steige in mein Auto und fahre los.
    Zu Hause hat meine Mutter gerade einen Nervenzusammenbruch. Sobald ich aus dem Wagen steige, kommt sie aus der Tür gestürmt. »Gott sei Dank«, sagt sie. »Ich brauch deine Hilfe.«
    Sie dreht sich nicht mal um, ob ich ihr überhaupt ins Haus folge, deshalb kann ich mir schon denken, daß es um Kate geht. Die Tür zum Zimmer meiner Schwestern ist eingetreten worden, der Holzrahmen gesplittert. Meine Schwester liegt reglos auf dem Bett. Dann wird sie plötzlich von Krämpfen geschüttelt, fährt ruckartig hoch und kotzt Blut. Ein großer Fleck breitet sich auf ihrem T-Shirt und über der geblümten Steppdecke aus, rote Mohnblüten, wo zuvor keine waren.
    Meine Mutter kniet sich neben sie, streicht ihr das Haar zurück und drückt ihr ein Handtuch auf den Mund, als Kate sich erneut erbricht, einen weiteren Blutschwall. »Jesse«, sagt sie sachlich, »dein Vater hat einen Einsatz, und ich

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