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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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fegt meine Mutter an Kate vorbei, die uns die Tür geöffnet hat, und an Jesse, der vor dem Fernseher sitzt und sich etwas ansieht, das nach dem verschlüsselten Playboy-Kanal aussieht. In der Küche öffnet sie Schränke und knallt sie zu. Sie holt etwas zu essen aus dem Kühlschrank und stellt es mit Wucht auf den Tisch.
    Â»He«, sagt mein Vater zu Kate. »Wie geht’s dir?«
    Sie antwortet ihm nicht und stürmt in die Küche. »Was ist denn passiert?«
    Â»Was passiert ist. Tja.« Meine Mutter durchbohrt mich mit einem Blick. »Da fragst du besser deine Schwester.«
    Kate wendet sich mir zu, mit erwartungsvollen Augen.
    Â»Erstaunlich, wie still du jetzt bist, wenn kein Richter dabei ist«, sagt meine Mutter.
    Jesse schaltet den Fernseher aus. »Sie hat dich vor einen Richter geschleift? Mensch, Anna.«
    Meine Mutter schließt die Augen. »Jesse, ich denke, du gehst jetzt besser.«
    Â»Das laß ich mir nicht zweimal sagen«, erwidert er, seine Stimme wie zerbrochenes Glas. Wir hören die Haustür auf- und zugehen, sie erzählt eine ganze Geschichte.
    Â»Sara.« Mein Vater kommt herein. »Wir müssen uns alle ein bißchen abregen.«
    Â»Ich habe eine Tochter, die soeben das Todesurteil ihrer Schwester unterschrieben hat, und ich soll mich abregen?«
    Die Küche wird so still, daß wir den Kühlschrank flüstern hören. Die Worte meiner Mutter hängen wie überreife Früchte in der Luft, und als sie zu Boden fallen und zerplatzen, setzt sie sich ruckartig in Bewegung. »Kate«, sagt sie und eilt mit ausgestreckten Armen zu meiner Schwester. »Kate, das hätte ich nicht sagen sollen. Ich hab das nicht so gemeint.«
    In meiner Familie ist es eine traurige Gewohnheit, daß wir nicht das sagen, was wir sagen sollten, und das, was wir sagen, nicht so meinen. Kate legt eine Hand vor den Mund. Sie geht rückwärts zur Küchentür hinaus, stößt gegen meinen Vater, der sie festhalten will, doch sie entwindet sich ihm und rennt die Treppe hoch. Ich höre, wie die Tür zu unserem Zimmer zuknallt. Meine Mutter geht ihr natürlich nach.
    Also tue ich, was ich am besten kann. Ich gehe in die entgegengesetzte Richtung.
    Wo auf der Welt riecht es besser als in einem Waschsalon? Dort ist es wie an einem verregneten Sonntag, wenn du nicht unter der Bettdecke hervorkriechen mußt. Als ich klein war, hat meine Mutter manchmal die noch warme Wäsche aus dem Trockner auf mich drauf geworfen, wenn ich auf der Couch saß. Dann habe ich mir immer vorgestellt, die Wäsche wäre ein großes Fell und ich wäre darunter ganz eng zusammengerollt wie ein einziges großes Herz.
    An Waschsalons gefällt mir außerdem, daß sie einsame Menschen anziehen. Hinten auf den Stühlen pennt ein Typ mit Armeestiefeln und einem T-Shirt, auf dem der Spruch Nostradamus war ein Optimist aufgedruckt ist. Eine Frau am Wäschefalttisch kramt in einem Haufen Herrenhemden und unterdrückt schniefend die Tränen. Unter zehn Leuten in einem Waschsalon sind immer welche, die noch schlimmer dran sind als du.
    Ich setze mich vor eine Reihe Waschmaschinen und versuche, die Kleidung in den Trommeln den wartenden Leuten zuzuordnen. Die rosa Slips und das Spitzennachthemd gehören der jungen Frau, die einen Liebesroman liest. Die roten Wollsocken und das karierte Hemd gehören dem vergammelten schlafenden Studenten. Die Fußballtrikots und die Kinderoveralls sind von dem kleinen Jungen, der seiner Mom, die ein Handy am Ohr hat und gar nicht auf ihn achtet, unverdrossen hauchdünne, weiße Weichspüler-Tücher hinhält. Wer kann sich ein Handy leisten, aber keine eigene Waschmaschine?
    Ich spiele manchmal für mich allein ein Spiel und stelle mir vor, wie es wohl wäre, die Person zu sein, deren Klamotten sich vor mir in der Trommel drehen. Wenn ich die Zimmermannshose waschen würde, wäre ich vielleicht Dachdecker in Phoenix, mit starken Armen und braun gebranntem Rücken. Wenn die geblümte Bettwäsche mir gehörte, wäre ich vielleicht Kriminologiestudentin in Harvard und hätte Semesterferien. Wenn das mein Satincape wäre, hätte ich vielleicht ein Saisonabo fürs Ballett. Und wenn ich mir dann vorstellen will, all die Dinge auch wirklich zu machen, gelingt es mir nicht. Ich sehe mich immer nur als Spenderin für Kate, lebe von einer Spende zur nächsten.
    Kate und ich

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