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Beim Leben meiner Schwester

Titel: Beim Leben meiner Schwester Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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schneller. Er hebt die Brauen und macht das Daumen-hoch-Zeichen, aber es ist eine Frage. »Ich kann mir noch immer kein klares Bild machen«, sagt Richter DeSalvo, »daher werde ich eine Verfahrenspflegerin benennen, die sich zwei Wochen mit Anna beschäftigen wird. Ich brauche wohl nicht zu sagen, daß ich die volle Kooperation beider Parteien erwarte. Die Verfahrenspflegerin wird mir Bericht erstatten, und in zwei Wochen findet dann eine Anhörung statt. Wenn Sie mir zu dem Zeitpunkt noch etwas Wichtiges mitteilen müssen, haben Sie dann Gelegenheit dazu.«
    Â»Zwei Wochen –«, sagt meine Mutter. Ich weiß, was sie denkt. »Euer Ehren, mit Verlaub, zwei Wochen ist eine sehr lange Zeit angesichts der ernsten Krankheit meiner älteren Tochter.«
    Sie sieht aus wie jemand, den ich nicht wiedererkenne. Ich habe sie als Tiger erlebt, der gegen ein medizinisches System ankämpft, das ihr nicht schnell genug ist. Ich habe sie als Felsen erlebt, an den wir übrigen uns klammern können. Ich habe sie als Boxer erlebt, der kampflustig wieder aufsteht, ehe der nächste Schlag des Schicksals kommt. Aber ich habe sie noch nie als Anwältin erlebt.
    Richter DeSalvo nickt. »Also schön. Die Anhörung ist nächste Woche. In der Zwischenzeit möchte ich, daß mir Kates Krankenakten zur –«
    Â»Euer Ehren«, fällt ihm Campbell Alexander ins Wort. »Wie Sie wissen, bedingen es die seltsamen Umstände dieses Falls, daß meine Mandantin mit der gegnerischen Anwältin unter einem Dach lebt. Das ist ein eklatanter Verstoß gegen das Gesetz.«
    Meine Mutter schnappt nach Luft. »Sie wollen doch wohl nicht beantragen, daß mir mein Kind weggenommen werden soll.«
    Weg? Wo sollte ich denn hin?
    Â»Wie soll ich wissen, ob die gegnerische Anwältin nicht versuchen wird, sich durch das Zusammenleben mit meiner Mandantin Vorteile zu verschaffen, Euer Ehren, und sie möglicherweise unter Druck zu setzen.« Campbell blickt den Richter unverwandt an.
    Â»Mr. Alexander, ich denke nicht daran, das Kind aus seiner Familie zu reißen«, sagt Richter DeSalvo, wendet sich dann aber an meine Mutter. »Ich mache Ihnen, Mrs. Fitzgerald, allerdings zur Auflage, mit Ihrer Tochter nicht über den Fall zu sprechen, es sei denn, ihr Anwalt ist dabei. Wenn Sie dem nicht zustimmen können oder wenn ich höre, daß Sie sich nicht an die Vereinbarung gehalten haben, muß ich zu drastischeren Maßnahmen greifen.«
    Â»Verstanden, Euer Ehren«, sagt meine Mutter.
    Â»Nun denn.« Richter DeSalvo erhebt sich. »Wir sehen uns alle nächste Woche.« Als er aus dem Zimmer geht, machen seine Sandalen leise saugende Klatschgeräusche auf dem Fliesenboden.
    Kaum ist er weg, wende ich mich meiner Mutter zu. Ich kann das erklären , will ich sagen, doch die Worte schaffen es nicht laut aus meinem Mund. Plötzlich stupst eine feuchte Nase gegen meine Hand. Judge. Sogleich wird mein Herz, dieser rasende Zug, langsamer.
    Â»Ich möchte mit meiner Mandantin sprechen«, sagt Campbell Alexander.
    Â»Im Moment ist sie meine Tochter«, sagt meine Mutter, und sie nimmt meine Hand und zerrt mich vom Stuhl. An der Tür kann ich mich noch einmal umdrehen. Campbell Alexander schäumt. Ich hätte ihm sagen können, daß es so kommen würde. Tochter übertrumpft alles, egal was gespielt wird.
    Der Dritte Weltkrieg bricht unvermittelt aus, nicht durch einen ermordeten Erzherzog oder einen verrückten Diktator, sondern durch eine verpaßte Abzweigung. »Brian«, sagt meine Mutter und reckt den Hals. »Das war die North Park Street.«
    Mein Vater blinzelt, taucht aus seinen Gedanken auf. »Das hättest du mir auch früher sagen können.«
    Â»Hab ich doch.«
    Bevor ich die Vor- und Nachteile einer Einmischung in eine fremde Schlacht auch nur abwägen kann, sage ich: »Ich hab nichts gehört.«
    Der Kopf meiner Mutter fährt herum. »Anna, im Augenblick bist du nun wirklich die letzte, deren Meinung ich mir anhören muß oder will.«
    Â»Ich wollte doch bloß –«
    Sie hebt eine Hand wie die Trennscheibe in einem Taxi. Sie schüttelt den Kopf.
    Ich lehne mich auf dem Rücksitz gegen die Seitenwand und ziehe die Füße hoch, blicke nach hinten und sehe nur schwarz.
    Â»Brian«, sagt meine Mutter. »Du hast sie schon wieder verpaßt.«
    Als wir ins Haus kommen,

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